Langweiler

Es musste mir so rausgerutscht sein, irgendwie... Wir gingen im Schnee hintereinander her, bergauf, und der Schnee reichte uns wohl über die Knöchel, und ringsum war nichts als dieses Weiß und dunkler Tannenwald, und das Ganze war zudem recht anstrengend, so dass ich ziemlich ins Schnaufen kam, um ihrem forschen Schritt hinterherzukommen. Da muss es passiert sein, dass ich laut gedacht habe. Und ich hatte gedacht: bei dem Wetter könnte man auch mit dem Querfeldeinrad fahren. An sich ein ganz legitimer Gedanke, wenn man, so wie ich, bei Schnee nicht gut zu Fuß ist. Und was bekomme ich zu hören? Kein: Du spinnst wohl! oder so was ähnliches, nein, viel schlimmer: Du langweilst mich.

Und mit einem Mal verdüsterte sich der graue Himmel noch mehr und vor meinem inneren Auge sah ich mich in einer Reihe mit all den Langweilern, denen ich in meinen erschreckend vielen Jahren begegnet bin. In einer Art Menschenkette sah ich zuvorderst jene Langweiler, die immer alles ganz phantastisch hinkriegen und mit ihrer Eloquenz alles niederfräsen. Die standen ziemlich weit vorn, wo das Licht noch einigermaßen Kraft hatte. Dann reihten sich jene ein, die - leicht gebückt schon und in einer Art Dämmerlicht - die Last der ganzen Welt tragen und auch von nichts anderem zu erzählen wissen. Was man natürlich gut verstehen kann, wenn man bedenkt, wie schlecht das Leben eigentlich eingerichtet ist, um dabei auch noch fröhlich zu wirken. Und dann, sehr nahe am Horizont, noch ein paar zerfurchte, moribunde Gestalten, die selten Besseres zu tun hatten, als allen mit ihren Suizidgedanken samt dieser subtilen Wollust daran in den Ohren zu liegen.

Hatte ich noch jemanden vergessen? Ja... mich, der da nun versuchte, tapfer diesen zwei entschlossenen Beinen vor mir zu folgen und sich zudem abmühte, dem Schnee zumindest mental etwas abzugewinnen. Wo wäre denn wohl mein Platz? Irgendwo zwischen dem ersten und dem zweiten Bataillon? Vor zwei Minuten hätte ich noch geschworen, er wäre - fernab auch nur jeden Gedankens an Langeweile - im Sattel. Aber das Fundament unseres Daseins ist nicht weniger glitschig als dieser vom Winter gebeutelte Forstweg. Doch ich will jetzt nicht jammern... Du langweilst mich: meine Begleiterin hatte es nicht sehr liebevoll gesagt, was darauf schließen ließ, dass ich in ihren Augen wohl eher bei den Suizidalen vegetierte. Lieber mal nicht nachfragen. Aber angesichts dieser Sachlage würde ich mir doch überlegen müssen, ob es opportun wäre, meinem Rad dieser Tage eine neue Kette zu spendieren - oder nicht vielleicht besser meiner Begleiterin. In diesem Fall aber nicht von Shimano.
 

Februar 2010