ARA Breisgau: 400 Kilometer Freiburg, 5. Mai 2012, 8.00 Uhr
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Böse Menschen glauben gerne, Behörden bestünden aus dumpfen Gestalten, die Kraft ihrer behördlichen Macht nach nichts anderem trachteten, als das bunte Leben außerhalb ihrer Amtsstuben zu tilgen. Solches Denken schien mir bis vor Kurzem absurd, aber von einem Moment zum anderen bin ich selbst zu einem bösen Menschen geworden. Ausschlaggebend dafür war ein einseitiges Schreiben des hiesigen Landratsamtes, mit dem ohne jede weitere Prüfung und Nachfrage die Durchführung des Breisgauer Vogesen-Brevets untersagt wurde. Und zwar am Nachmittag vor dem geplanten Termin.
Böse Menschen fühlen sich verfolgt, missachtet und ungerecht behandelt. Und schon werden sie selbst ungerecht und wünschen ihren Gegnern die Pocken ins Gesicht und die Syphilis zwischen die Beine. Das ist keine gute Voraussetzung für einen Festtag, der eigentlich dazu dienen sollte, die Randonneursgemeinde mit dem neuen Freiburger Vogesen-Brevet bekannt zu machen.
Nun weiß natürlich jeder, dass sich ein Randonneur, der sich auch bei Hagel und Sturm in die Welt hinaus begibt, von einem Stück Papier nicht vorschreiben lässt, wohin er nicht zu fahren hat. Dazu bräuchte es schon Panzer, aber die unterstehen augenblicklich noch dem Verteidingungsministerium und nicht dem Landratsamt. Und so tasten sich nach dem Randonneursfrühstück eine ganze Menge wild entschlossener Mädels und Kerle in die feindliche Umgebung hinaus, blicken links, blicken rechts und sind, schwuppdiwupp, samt ihrer Räder irgendwo untergetaucht. An der Stelle, wo vor drei Wochen der Unfalltod eines Teilnehmers des Belchen-Brevets den Amtschimmel zum Leben erweckt hat, tauchen sie wie aus dem Nichts wieder auf. 50, 60, vielleicht auch 70 Leute stehen rund um das Kreuz am Wegesrand versammelt. Man möchte die Ungerechtigkeit in den grauen Himmel schreien: hier wird einer ohne jede Schuld über den Haufen gefahren und euch fällt nichts Besseres ein, als das Brevetfahren zu verbieten. Ist diese Welt denn ein Irrenhaus?
Böse Menschen fühlen sich eben ungerecht behandelt und haben keinerlei Einsicht, wie wichtig doch der Paragraph 29 der Straßenverkehrsordnung ist, der die mehr als verkehrsübliche Inanspruchnahme der Straßen regelt. Man denke nur, der Vorstandsvorsitzende eines großen deutschen Autokonzerns mit 17 Millionen Jahreseinkommen geriete - zur Untätigkeit verdammt - für fünf Minuten hinter eine Gruppe von Randonneuren, die in Richtung Vogesen unterwegs sind. Der dadurch angerichtete Schaden beliefe sich auf mindestens 500 Euro - und dies in Zeiten von so knappen Kassen. Aber das will einem in seiner maßlosen Wut natürlich nicht einleuchten.
Der Regen hingegen, der irgendwo an der deutsch-französischen Grenze einsetzt, kommt mir gerade recht. Er passt vollkommen zu meiner Stimmung und ich bilde mir ein, dass da auch Tränen der Wut von irgendwelchen Göttern da oben dabei sind. Angesichts von so viel Unrecht auf dieser Welt können die gar nicht anders als heulen. Mein Kopf ist schwer, meine Beine sind schwer, ich kann mich nicht freistrampeln von dieser tumben Macht, die mir im Nacken sitzt. Selbst als wir die Grenze passiert haben, gelingt es mir nicht durchzuatmen. Dieses Beamtenphantom verfolgt mich. Glotzt mir über die Schulter, prüft, ob die Gruppen keine Behinderung darstellen, ob jeder an der roten Ampel hält. Und das, obwohl wir längst an den Vorbergen der Vogesen herumkraxeln. Eine an sich zauberhafte Landschaft, aber das Böse hat mich im Griff und statt mich an den Schönheiten der Welt zu erfreuen, zanke ich mich mit meinem unsichtbaren Begleiter. Ich werde ihm zeigen, was Brevetfahren heißt.
Gleich nach Guebwiller liegen wunderbare Berge auf der Strecke, aber davon versteht er nichts. Hat keine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn man so einen Col hochkeucht. Lacht sich wahrscheinlich ins Fäustchen. Ich könnte ihn würgen. Auf der Stelle totschlagen. Keiner, der mich in den steilen Kehren am Ballon d'Alsace leiden sieht, würde mir eine solche Mordlust zutrauen. Überhaupt traut man Randonneuren nichts Böses zu. Aber wer so einen Begleiter hat wie ich, ist zu allem fähig.
Die Ankunft auf dem Ballon wäre erhaben: dieses eigenartige Sonnenlicht zwischen den schwarzen Wolken, das über die Rheinebene und weit nach Westen über die Reihen der Bergkämme hinweg strahlt. Wäre da nicht dieses widerliche Etwas, das sich in jeden meiner Gedanken einmischt.
Die Gruppe, in der wir unterwegs sind, ist von ihrer Größe her, straßenverkehrsordnungsmäßig, vollkommen unauffällig. Es sind heitere Gesellen und sie haben sichtlich Spaß an der Tour. Sie sind zu beneiden. Ich bin allein mit meinem Dämon. Er hätte es verdient, dass ich ihn irgendwo in der schmalen Abfahrt vom Col de Servance über die Leitplanken schleudere oder in einem der zahlreichen Seen, die das folgende Hochtal ausschmücken, wortlos ertränke. Aber er ist nicht weniger zäh als ein Randonneur, das muss ich anerkennen. Er lässt nicht locker. Er folgt mir durchs Tal der Mosel in die Nacht hinein. Kontrolliert, ob die Lichter an sind, ob die Leuchtweste sitzt. Wenn's drauf ankommt, fahren die Autofahrer einen auch mit Ausrüstung über den Haufen, und wenn ein Brevet noch so viele amtliche Siegel hätte. Das hört er nicht gerne, mein Schatten, aber so ist es. Der Fahrer tippt eben mal eine kurze SMS ins iPhone und schon knallt's.
Wir erreichen Saint Dié gegen Mitternacht. Die Gruppe vor uns sitzt in ausgelassener Stimmung in einem Imbiss, der als Kontrollstelle eingeplant war und nun für unser aller leibliches Wohl sorgt. Der Chef strahlt über beide Backen. So viel Umsatz hat er wahrscheinlich im ganzen Jahr noch nicht gemacht. Mein düsterer Begleiter wird sich verwundert die Augen reiben und nicht fassen können, dass man nach dreihundert harten Kilometern in den Beinen noch so viele Späße über die Lippen bringt. Armer Kerl, du kennst die Randonneure nicht. Die lassen sich ihre Stimmung auch dann nicht vermiesen, wenn sie halbtot vom Rad fallen. Nur ich nicht. Ich bin heute kein Randonneur, sondern ein Galle speiender Sonderling. Es wird Zeit, dass wir nach Hause kommen.
Der Heimweg wird uns schwer gemacht. Der Wind faucht von Süden her durch die Rheinebene. Wir fahren versetzt in der Windstaffel oder tief gebückt in Einerreihe. Es ist ein elendes Kurbeln. Meine Leuchtweste flattert im Wind und daran festgeklammert zappelt dieser Dämon, dieses erbärmliche Wesen, das nun endlich seine Klappe hält. Eine solche Naturgewalt scheint ihn aus der Fassung zu bringen. Ich stehe am Rande der totalen Erschöpfung und mein böser Geist ist plötzlich über den Rand gerutscht. Einfach weg. So wie meine Kräfte. Ich schleppe mich nach Freiburg, beschützt von zehn, zwölf anderen verwegenen Gesellen, die sich von nichts und niemandem dreinreden lassen, wenn es um ihre Sache geht.
Vielleicht sind wir die letzten Nachfahren eines alten Rittergeschlechts und dem Untergang geweiht. Hinter vorgehaltener Hand soll bereits über einen Leinenzwang für Radfahrer beraten werden - zu deren eigener Sicherheit. So wurde es mir von dem Scheusal in meinem Nacken zugeflüstert. Dieser Ausgeburt an Bosheit glaube ich allerdings kein Wort.
Strecke: |
437 km |
Höhendifferenz: |
4150 hm |
Fahrzeit: |
17:09 |
Schnitt: |
25,5 km/h |
Gesamtzeit |
ca. 19 h |