Massat - Bagnères-de-Luchon

Montag, 14. September 2009  


| Strecke |
morgens, KartenstudiumDie Temperatur sinkt im Laufe der Nacht auf erstaunliche fünf Grad. War es mir noch anfangs danach, meine Socken auszuziehen, wäre ich zum Morgen hin froh gewesen, ich hätte sie noch angehabt. Nebel liegt über dem Tal des Arac. Bereits im Oktober sei hier in Massat mit dem ersten Frost zu rechnen, klärt mich der Verwalter des Zeltplatzes mit rauer Stimme auf. Ansonsten sei er heute noch nicht so fit, weil er vergangenen Abend habe Geburtstag feiern müssen. Vor fünfundzwanzig Jahren hat es ihn hierher verschlagen, als einer der vielen, die hier in den Pyrenäen ihren Traum vom freien, einfachen Leben zu verwirklichen suchten. Sein Wohnwagen steht gegenüber der Rezeption.

Der Pfälzer hat sich für den direkten Weg zum Col de la Core entschieden, während ich den Umweg nach Süden über den Col d'Agnes und Col de Latrape wähle. Wir würden uns also erst am Abend wiedersehen. am Col d'AgnesDer Weg hoch zum Col d'Agnes verläuft auf einer kleinen nebligen Straße. Sie hat etwas Märchenhaftes. Vereinzelt stehen Häuser am Wegesrand, schlichte, schiefergedeckte Bauten, aus dem Stein der Gegend errichtet und mehr schlecht als recht verputzt. Nichts Gelecktes, nichts Anbiederndes geht von ihnen aus. Sie fügen sich in die Landschaft wie die Wiesen, die Bäume, der Fluss, dessem Lauf ich nach oben folge. Sie sind zeitlos und für uns, die wir der Rastlosigkeit des städtischen Leben doch nur im Notfall abschwören würden, wunderschöne Projektionsflächen der Sehnsüchte.

Noch lange bevor die Häuser enden, endet der Frühnebel. Wie es um das Dasein weiter oben bestellt ist, wäre mit den Rindern zu klären. Sie sind die einzigen regelmäßigen Bewohner hier und reichen mit ihren Hörnern fast schon wieder in den Hochnebel hinein. Auf mich machen sie einen etwas unruhigen Eindruck. Die Kälte, nehme ich an. Trotzdem: die imposante Landschaft jagt mir zusammen mit dem Wind, der mir den Schweiß aus dem Trikot bläst, einen gewissen Schauer über den Rücken. Ich trage mich sogar mit dem Gedanken, später zu behaupten, dass der Col d'Agnes einer der schönsten Pässe ist, die ich je befahren habe.

Aulus-les-BainsAuf dem Scheitelpunkt auf 1570 Metern treffe ich auf eine kleine Gruppe Franzosen, die ebenfalls die Ost-West-Überquerung in Angriff genommen hat. Zusammen begeben wir uns in die rauschende Abfahrt. Direkt am Ortsausgang von Aulus-les-Bains beginnt der nächste Pass: der Col de Latrape, schlappe 1110 Meter hoch, von dem kleinen Ferienort mit seinen 762 Metern Meereshöhe aus ein unspektakulärer Nachschlag, der sich vor allem wegen seiner endlosen Abfahrt lohnt. Allenthalben sausen Châlets vorbei, deren Besitzer weniger Sorgen mit Herkunft oder Einkünften zu haben scheinen als die Bewohner jenseits des Col d'Agnes.

hoch zum Col de la CoreZwar habe ich bereits in Aulus meine Besorgungen gemacht, aber die Gelegenheiten für eine Rast bislang ausgeschlagen. Nach Seix stoße ich gleich im Einstieg zum Col de la Core auf weitere drei Franzosen aus der Gruppe von vorhin. Wir gehen den Berg gemeinsam an, dann setze ich mich mit einem von ihnen ab. Er treibt mich, ich treibe ihn. Aus der Rast wird wieder nichts. Wir machen zwei Gipfelfotos von uns, nachdem wir wieder zu Atem gekommen sind.

Die Pause lege ich dann in der Abfahrt ein, auf einer Bank, auf der schon lange keiner mehr gesessen hat. Ein beweiskräftiges Indiz dafür ist, wenn man beim Aufstehen mit der Hose am Harz festklebt. Wieder im Tal kann mir der ortsansässige Apotheker wegen meiner Harzflecken auch nicht weiterhelfen, empfiehlt mir aber, mich in einer Dorgerie nach einem Teerentferner zu erkundigen.

Ich passiere winkend und am Sattel klebend meine ganzen Franzosen, die es sich im Café in Castillon gut gehen lassen, und greife den nächsten Pass an: den Portet d'Aspet. Der anfängliche Gegenwind macht es mir nicht einfach, aber irgendwann rückt auch hier der Gipfel näher und kaum hat man verstanden, wie es geschehen konnte, ist man schon oben. Col Nummer 4. Auf der Passhöhe selbst machen sich Arbeiter eines Stromversorgers zu schaffen. Viel Unruhe. Dann lieber schnell weiter.

Leiden am Col de MentéBleibt noch der Col de Menté. Hier wünschte ich mir lieber etwas Gegenwind bei weniger Prozenten. Der Col de Menté ist ein recht unrhythmischer Geselle, dem man nicht trauen kann. Ein Bösewicht, ein Schinder. Man fragt sich, welche Kräfte die Menschen dazu getrieben haben, an diesen Steilhängen eine Fahrbahn anzulegen. Für gewöhnlich können nur Frauen zu solchen Heldentaten anstiften. Oder die Aussicht auf viel Geld. Wie auch immer: ich hoffe, sie sind auf ihre Kosten gekommen, so wie ich auf meine komme. Wobei meine Erwartungen weder in die eine noch in die andere Richtung gehen, sondern allein auf diesen Augenblick des stillen Glücks ausgerichtet sind, wenn man weiß, dass man es wieder einmal geschafft hat. Wir Radfahrer sind genügsam. Etwas unterhalb lenkte ein Fahrer in jugendlichem Übermut sein Auto nach einer Drehung von 180° in den Straßengraben. Er hat's nicht geschafft. Große Aufregung.

In St. Béat mache ich mich auf die Suche nach dem Pfälzer. Weder im Zentrum noch auf den Campingplätzen treffe ich ihn an. Statt dessen kommt er frisch aus Richtung Spanien angestiebt. Bagnère-de-Luchon, bei Pizza und WeinDazu muss man wissen, dass er ein frühkindliches Trauma in sich trägt: jedes Wochenende musste er - nach eigenen Angaben - von kleinauf mit Vattern und Muttern auf Campingplätzen verbringen. Deshalb überkommen ihn bisweilen noch heute Attacken einer Campingplatzphobie. Hat er sich bis zu diesem Abend glänzend geschlagen, ist nun der Zeitpunkt gekommen, wo der Gedanke an ein anständiges Hotel alles andere nebensächlich erscheinen lässt. So auch die richtige Wahl der Straße, mit der Folge dass er, statt auf der D 125 nach Bagnères-de-Luchon zu fahren, auf der N 125 nach Spanien gejagt ist. Umso mehr freue ich mich über unser glückliches Aufeinandertreffen, und so machen wir uns nun gemeinsam auf den Weg nach Bagnères. Dort teilen wir uns in der Dunkelheit auf den Eingangsstufen eines geschlossenen Hotels zur Pizza eine Flasche Wein, dann geht jeder seines Weges: der Pfälzer ins nahegelegene Hotel, ich zurück zum Campingplatz am Ortsrand. Der Himmel schickt uns ein feines Nieseln. Früher als angekündigt hat sich das Wetter verschlechtert.

Strecke:

152 km

Zeit:

8:37 h

Schnitt:

17,5 km/h

Höhendifferenz:

3625 Hm

 

1  |  2  |  3  |  4  |  5  |  6  |  7