Deux-Chaises - St. Germain

Donnerstag, 12. September 2002


Es ist noch finstere Nacht, als der Wecker um 6.30 h klingelt, unangenehm kalt und neblig obendrein. Wir zerlegen die Zelte und packen, soweit wie möglich, in der Hoffnung auf etwas mehr Licht und Wärme beim Frühstück. Die Kälte bleibt, mit dem Licht ist es nicht weit her, der Nebel erweist sich als beharrlich. Mit steifen Gliedmaßen kurbeln wir uns ein, machen die Lichter an. Wir haben heute die bergige Landschaft der Auvergne vor uns, wie auch gestern eine Gegend mit ausgeprägt schwacher Infrastruktur. Von Montmarault führt uns eine noch recht gut ausgebaute Straße bis Montaigut, ab da geht's beladen mit Baguette und anderen Schmankerln in einem hügeligem Zickzack über Pionsat weiter nach Auzances. Eine Gegend, wohin sich auch in der Hochsaison nur wenige Touristen verirren dürften. Der Stein der Häuser wirkt im grauen Nebel kalt und wenig einladend. DemAuvergne im Nebel Durchreisenden drängt sich die Ahnung auf, dass das Leben hier bisweilen sehr einsam sein muss.

Ein feiner Nieselregen stellt uns immer wieder auf die Probe. Aber die Stimmung ist besser als am Vortag. Mein Knie zeigt keine Anzeichen einer Verschlimmerung, was mich sehr beruhigt. Wir fahren häufig in größerem Abstand zueinander, das Kommunikationsbedürfnis hat mit den vielen Stunden auf der Straße nachgelassen, jeder fährt sein Tempo, Windschattenfahren macht in diesem Gelände ohnehin keinen Sinn. Schon seit dem zweiten Tag sind wir nur noch vereinzelt Passagen im Windschatten unterwegs. Bereits vor Auzances halten wir Ausschau nach einer Gelegenheit, eine Mittagspause einzulegen, nach irgendeiner Bank, um uns nicht ins nasse Gras setzen zu müssen. Zweifellos hat diese Landschaft bei Sonnenlicht eine Menge zu bieten, an Bänken jedoch fehlt's gewaltig. So schleppen wir unsere leeren Mägen weiter übers Land, füttern noch einen Apfel zu, bis wir in Bellegarde-en-Marche eine überdachte in der AuvergneBushaltestelle finden. Das Wetter ist wahrhaftig nicht motivierend. Neben der Bushaltestelle befindet sich eine Telefonzelle; ich nütze die Gelegenheit, meinen Freund von unserer bevorstehenden Ankunft - wenn alles gut geht, morgen im Laufe des Abends oder der Nacht - zu unterrichten und höre staunend, dass im Bordelais der Himmel strahlend blau sein muss. Unvorstellbar. Aber es verleiht uns einen Kick.

Im Ort ist ein Café; um uns aufzuwärmen, nehmen wir in dem mit einem Kohleofen nur mäßig beheizten Lokal einen Milchkaffee zu uns - das einzige Mal, dass wir eine Kneipe aufsuchen. Den Auvergnaten sagt man nach, dass sie eigenbrötlerisch und unfreundlich seien - die Dame, die uns mit unbewegter Miene den Kaffee hinstellt, macht hiervon jedenfalls keine Ausnahme. Als wir wieder ins Freie treten, schimmert wie durch ein Wunder die Sonne durch die Wolkendecke, zunächst noch sehr milchig, dann immer kräftiger. Zehn Kilometer später, in Aubuisson, herrscht strahlender Sonnenschein, wenngleich die Temperaturen noch nicht so sind, dass es Zeit für kurze Hosen wäre.

bei GentiouxWir entscheiden uns für ein kleines Sträßchen, dass uns etliche Höhenmeter beschert, aber auch wunderschöne Natur entlang des Flüsschens Beauze. Es ist nicht zu glauben, wie sehr nicht nur der Mensch, sondern auch die Landschaft von der Sonne profitiert. Kaum ein Fahrzeug begegnet uns auf diesen gut 20 Kilometern. Die Strecke steigt weiter an, als wir längst schon mit der Abfahrt rechnen, erst bei Gentioux lassen wir uns, der Abendsonne entgegen, über viele herrliche Kilometer ins Tal treiben. Diese Abfahrt haben wir uns verdient...

Eymoutiers: kurz vor Torschluss finden wir noch einen Supermarché; wie meist wartet Bertram bei den Rädern, während ich die Besorgungen mache. Mit seinem mangelndem Französisch scheut er Orte, wo ihm sprachlich zuviel abverlangt werden könnte. Den Campingplatz im Ort ignorieren wir, wählen statt dessen den Anstieg über die D 979, eine breite Straße, die zu dieser Uhrzeit aber verkehrsmäßig darniederliegt. In Chateauneuf-la-Foret wartet die nächste Versuchung in Form eines Campingplatzes, nochmals sind wir stark. Die Aussicht, morgen am Ziel anzukommen, beflügelt uns, wir holen aus den müden Muskeln noch heraus, was es braucht, um weitere 20 Kilometer zu fahren, noch einmal in die Nacht hinein.der Autor beim Tagesgeschäft

In einem Gemisch aus Müdigkeit und Dämmerung verschwimmen die letzten Kilometer in der Erinnerung. Eine weiterhin bergige Straße, die sich durch die Provinz windet, um uns in die Dunkelheit von St. Germain zu entlassen. Der camping liegt direkt an einem Baggersee und ist um diese Zeit so gut wie ausgestorben, die Rezeption längst geschlossen. Im Schein der Laternen bauen wir die Zelte auf, kochen das voraussichtlich letzte Pfund Spaghetti auf dieser Fahrt.

Was bleibt am Ende des Tages noch an Gesprächsstoff? Jeder ist beschäftigt mit dem Strom der Bilder im Kopf, spürt die Belastungen des Körpers - viel zu erzählen gibt es nicht. Wir könnten uns nach dem Sinn unseres Unternehmens fragen: ein Tag mehr, und die Tour wäre deutlich entspannter. Nur: der Kitzel, die Grenze des für uns Machbaren auszuloten - er fehlte. Sicher, es gäbe andere Dinge, um die Strapazen aufzuwiegen, aber ob sie sich mit der gleichen Heftigkeit ins Hirn einbrennen würden? Ob das Glücksgefühl, kurz bevor der Schlaf die Gedankenfetzen verjagt, dasselbe wäre?

Strecke

195 km

Zeit

9:30 h

Schnitt

20,6 km/h

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