Chalabre - Col de Portet d'Aspet

Donnerstag, 28. Juni 2007


Harry ist bereits im Aufbruch, als sich die Reißverschlüsse meines Zeltes öffnen. Wir wechseln noch ein paar aufmunternde Worte, dann zieht er seiner Wege Richtung Zentralmassiv und Alpen. Mein Tag beginnt mit der üblichen Routine: Klamotten und Schlafsack verstauen, Zelt abbauen, Kaffee kochen, frühstücken, spülen, packen. Das Ganze geht so etwa eine Dreiviertelstunde. Der Campingplatz ist offiziell noch geschlossen - aber es gibt immerhin warmes Wasser! - so dass An- oder Abreiseformalitäten für heute entfallen.

TarasconTrotz dunkler Wolken, kühler Temperaturen und erneutem Gegenwind bin ich heute guter Dinge - als würde mich der gute Geist eines Harry Graat begleiten. D 620, Lavelanet, D 117. Straßen und Städtchen, gefällig in ihrer Art, die mir mit jedem Kilometer mehr ein Zurück erschweren. Sollte sich das Wetter weiter verschlechtern: ich wäre in der Falle. So wird der Morgen zu einem gespannten Dahingleiten. Dann, in St. Antoine - ich kann es kaum fassen - schiebt sich die Sonne durch die Wolken, und Rückenwind fegt mich die letzten zehn Kilometer durchs Tal der Ariège bis Tarascon. Der Verkehrsstrom verläuft auf der linken Seite des Flusses, so dass ich hier völlig unbehelligt vorankomme. Unterwegs fülle ich noch meine Taschen mit dem Nötigsten fürs Mittagessen, dann steige ich in meinen ersten veritablen Pass am Col de Portdieser Tour ein: den Col de Port. Strahlende Sonnenschein begleitet mich auf den 18 Kilometern bis zur Spitze. Oben treffe ich auf zwei junge Spanier mit Rennrad und Kleingepäck auf dem Weg zum Atlantik. Wir drücken uns gegenseitig unsere Kameras in die Hand für ein Gipfelfoto. 

Mittwoch, 27. Juni 2007 Entgegen meiner Gewohnheit lege ich heute die Mittagspause sehr früh ein: die Aussicht auf der Abfahrt ist zu schön, um sie dem Geschwindigkeitsrausch zu opfern. Eine Stunde später, um ein Uhr, setze ich meine Talfahrt fort bis Massat, wo Alt- und Junghippies einer offensichtlich friedlichen Koexistenz frönen und einem Müßiggang, der mein ganzes Treiben in Frage stellen könnte. Im Tal der Arac überholt mich ein vollbesetztes Auto mit Attac-Aufkleber in rasendem Tempo. Ich habe mich nicht lange in Massat aufgehalten, will weiter nach Seix, und von dort über den Col de la Core.

SeixZunächst ist die Auffahrt recht waldig, der Blick muss sich mit Farn und Wiesen zufrieden geben. Erst nach oben hin wird die Straße freier und die Landschaft offenbart ihre spektakuläre Schönheit. Auf der Passhöhe lege ich mich ins Gras und schließe die Augen. Ich bin angekommen.

Col de CoreMehr als einmal hat es mich in Frankreich erstaunt, wenn augenscheinlich unbedarfte Spaziergänger innehalten, um mein Rad zu mustern, und dann plötzlich beginnen, mit mir über Übersetzungsverhältnisse oder Gepäckträgerbefestigung bei Rennrahmen zu fachsimpeln. Als ich meine Augen wieder aufschlage, steht ein Paar mittleren Alters vor meinem Rad und scheint nur darauf zu warten, bis ich wieder ansprechbar bin, um mich ins Fachgespräch zu verwickeln.

In den dritten und letzten Pass des Tages, den Col du Portet d'Aspet, fahre ich am Spätnachmittag. Ich vertraue darauf, dass irgendwo noch ein Örtchen kommt, wo ich das Nötigste für den Abend besorgen kann, denn einen weiteren Pass verbiete ich mir - ich bin im Urlaub! - und dazwischen wird es keine Einkaufsmöglichkeit geben. Und richtig, in St. Lary finde ich oberhalb der Straße einen kleinen Laden, der zwar nicht viel, aber genau das hat, wonach mir an diesem wie an jedem anderen Abend der Sinn steht: Spaghetti. Heute gibt's, zur Feier des Tages, einen Salat Niçoise in der Dose.

Col de Portet d'AspetEin Campingplatz liegt nicht auf der Strecke, so schleppe ich die Ware hoch auf den Pass. Der Col de Portet d'Aspet zeichnet sich durch vier Dinge aus: eine bezaubernde Aussicht, eine Gaststätte, einen Brunnen mit Quellwasser und Picknick-Tische. Der Campingplatz, den es hier oben - in unvergleichlicher Lage - ebenfalls gibt, hat zu meinem Leidwesen geschlossen. Ich beschließe, mein Zelt zu späterer Stunde einfach auf der Wiese neben den Tischen aufzustellen. Was den Wohnmobilen erlaubt ist, kann mir nicht verboten sein. Und ich erlebe einen der denkwürdigsten Abende in den Bergen.

Der Gastwirt beginnt, als die spärlichen Gäste das Feld geräumt haben, auf seinem Piano aufzuspielen, und die Klänge begleiten mich, wärend ich mir mein Essen koche. Nach dem Essen kommt er mit seinem Hund noch für ein paar Worte zu mir hoch. Er habe in jüngeren Jahren ebenfalls gezeltet, erzählt er. Ab wann, frage ich mich, ist man nicht mehr jung?

Dann steigt der fast volle Mond über den Bergen auf und perfekte Stille legt sich über die Welt. Das Glück ist mit den Tüchtigen.

 

Strecke:

153 km

Zeit:

7:42 h

Schnitt:

19,9 km/h

Höhendifferenz:

2720 m

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