Axat - Massat

Sonntag, 13. September 2009  


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Axat, SonntagmorgenSonntagmorgen in Axat. Es riecht nach frischem Gebäck und zunehmend wabert Bratenduft durch den Ort: vor der Metzgerei wurde ein Grill angeworfen. Ein typischer französischer Sonntag der kleinen Sinnenfreuden nimmt seinen Lauf, während wir beide, eingedeckt mit den Nahrungsgrundlagen des Tages, uns vom dörflichen Treiben verabschieden und der Gorges de l'Aude zuwenden. Der Pfälzer hat bereits gestern abend seine Magenprobleme wieder in den Griff bekommen, so steht einem weiteren Vorankommen nichts im Weg.

Fast zwanzig Kilometer lang zieht sich die oftmals ausgebesserte Straße in stetigem Anstieg durch die Schlucht. Üppiges Grün ringsum, hie und da eine Pfütze. In der Nacht muss es geregnet haben. Der Himmel ist mit Schleierwolken überzogen, das kommt meinem Reisepartner und dessem Verdauungstrakt entgegen. MijanèsWir werden es uns heute nicht leicht machen. Gleich zu Beginn schleudert uns der Col de Port de Pailhères mit seinen zweitausend Höhenmetern seinen Fehdehandschuh entgegen. Bei Mijanès, zehn Kilometer vor dem höchsten Punkt, nimmt jeder sein eigenes Tempo auf. Etwa achthundertfünfzig Höhenmeter warten noch auf uns. Bei einer kleinsten Übersetzung von 27 Zähnen hinten bei 34 Zähnen vorn hat man den unschätzbaren Vorteil, dass man mit diesem einen Gang auf den letzten zehn Kilometern bestens hinkommt - Schalten wird überflüssig, man kann sich also ganz der Harmonie der Landschaft widmen. Der Gipfelaspirant folgt lange Zeit einem Bach, der in einer ausladenden Talsohle fließt - der wahre Schauplatz für Schäferromantik. Vereinzelt werden die Szenerien nachgestellt: Tischtuch auf dem Boden, sonntägliche Ausgelassenheit. Ich schraube mich Kehre um Kehre bergan, wechselnd zwischen sitzender Fahrweise und Wiegetritt. Mein keuchender Atem: ein Missklang im Gesamtwerk.

der Pfälzer auf dem Weg zum Port de PailhièresEin gutes Stück vor mir taucht ein Radfahrer auf. Reiß' dich zusammen, flöte ich mir zu, kein Wettrennen!
Ich lege einen Zahn zu.
Du machst dich unbeliebt, sage ich mir.
Ich schließe auf, husche an ihm vorbei, habe schon die nächsten beiden im Blickfeld.
Lass den beiden den Sieg, befehle ich mir.
Aber dann schwinden ihnen kurz vor dem Ziel die Kräfte, und auch sie fallen mir zum Opfer. Meine Lunge brennt, als mein Rad auf der Passhöhe zum Stehen kommt. Geier kreisen über mir.

Go Jan! stand irgendwo auf der Straße, die sich nun unter mir hinzieht, und gleich danach: Allez Lance! Vier Wörter, unpassend in ihrer Aneinanderreihung, reichen, um die Mystik eines Berges wachzurufen und Kräfte zu entfesseln, die an anderer Stelle mehr Sinn machen würden...Blick von der Route des Corniches

Es ist kalt oben, eigentlich zu kalt für die mittägliche Brotzeit. Aber die Kulisse fordert es, dass man seine Habseligkeiten auspackt und den Moment feiert. Mit mir hat von der anderen Seite ein junger Franzose mit einem vollverkleideten Hänger den Gipfel erreicht und wir tauschen unsere Eindrücke aus. Über uns zischen die Geier durch die Lüfte. Nahe der Kuppe, hinter der der Pfälzer nun auftaucht, hat einer einer von ihnen ein Tier gerissen und zu Hunderten fallen sie mit heiseren Schreien darüber her.

Vor Ax-les-Thermes trennen sich unsere Wege bis zum Abend. Der Pfälzer nimmt die Route durchs Tal entlang der Ariège, mich zieht es hoch zum Col de Chioula und von dort aus auf die zauberhafte Route des Corniches, die immer wieder phantastische Ausblicke übers Tal erlaubt. Es ist ein stetiges Auf und Ab der Straße. Dicke, bedrohliche Wolken hängen plötzlich über mir und der Regen holt mich ein, reicht mir genau bis zur Nasenspitze: vor mir ist die Straße trocken, dort wo ich fahre, fallen die ersten Tropfen. Mehrmals ziehe ich die Regenjacke an, dann wieder aus.

auf dem Col de PortDann bin auch ich wieder zurück im Tal, quere bei Tarascon die Ariège und habe die nächste schwarze Wolke über mir: Sie hängt über dem Col de Port. Ein weiterer schwerer, trotz der Kälte schweißtreibender Aufstieg erwartet mich. Der Regen verschont mich diesmal.Massat bei Nacht

Auf 1249 Metern treffen wir wieder aufeinander. Es geht in die letzte lange Abfahrt für heute.

In Massat beziehen wir Quartier auf dem Campingplatz oberhalb der Ortsmitte. Zum späten Abend hin reißt der Himmel wieder auf, eine sternenklare Nacht liegt über dem Tal. In einer Nebenstraße stoßen wir zu später Stunde noch auf eine offene Kneipe mit wenigen jugendlichen Gästen. Das Leben, wir haben's geahnt, spielt sich in den Niederungen ab, inmitten dieser wohligen Banalität, wo sich kein Mensch für meine dreitausend Höhenmeter dieses Tages interessiert.

Strecke:

134 km

Zeit:

7:12 h

Schnitt:

18,5 km/h

Höhendifferenz:

3055 Hm

 

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