Freitag, 19. Juni 2009
Heute steht die Königsetappe an. Eckhard ist fest entschlossen, spätestens morgen nachmittag die Fähre nach Schweden zu nehmen, entweder in Rostock oder in Travemünde, dort dann allerdings am Vormittag. Er hat für seine Fahrt ans Nordkapp ein enges Zeitbudget. So hat sich's, erst einmal zurück auf der Straße, schnell ausgebummelt. Doch schon im nächsten Ort, Schlitz, geraten wir in die Falle: ein unbeschilderter Radweg entlang der Fulda, der sich im Forst zu verlieren droht... Und das ohne vernünftiges Frühstück im Bauch. Wir sind stark, folgen dem Weg bis zur bitteren Neige und geraten tatsächlich wieder in einen verkehrstechnisch besser erschlossenen Abschnitt. Aber das Dilemma des Tages ist damit eröffnet: Radweg oder Straße?
Fürs Erste ist Frühstück angesagt: ein kleiner Dorfladen irgendwo am Lauf der Fulda hält alles Nötige vor und bietet darüber hinaus noch einen überaus freundlichen Service. Mindestens vier von fünf Sternen also. Und weiter geht's. Radweg oder Straße? Radweg. Wir landen wieder im Wald, auf dem Märchenweg diesmal. Märchenhaft schön, aber ohne festen Untergrund, leider. Irgendwann sind wir zurück auf der Straße, Mensch und Material freuen sich, die Geschwindigkeit verdoppelt sich. Wir rätseln schon seit gestern über die Namen der jeweiligen Mittelgebirge, die wir durchqueren. Sind wir heute in der Rhön? Im Harz? In Sachen Geographie sind wir beide nicht sehr sattelfest. Auch ändert sich alle paar Stunden der Landkreis, in dem wir uns bewegen: ich habe genug damit zu tun, all den merkwürdigen Autokennzeichen eine Bedeutung abzuringen.
Die Werra entlang nehmen wir den Radweg. Malerische Landschaften ziehen an uns vorüber: Wälder, Wiesen, Korn unter grauem Himmel, die Wegränder gesäumt von rotem Mohn.
Nächster Programmpunkt: die Leine mit Ziel Göttingen. Diesmal wieder Radweg, akzeptabel. Mittägliches Picknick in der Sonne kurz vor den Toren der Stadt. Streik der Bauern mit Straßenblockade. Wir mit unseren Rädern mittendurch. Flüchtiger Eindruck von der Innenstadt. Das wär's zu Göttingen. Wir haben ja noch was vor heute.
Mit ungedrosselter Geschwindigkeit jagen wir gen Norden entlang der Leine, von der wir aber nur von Zeit zu Zeit einen Blick erhaschen. Die Bilder überlagern sich, verschwimmen ineinander. Wir halten auf Hannover zu. Der Wind wird zunehmend feindlich, kommt von der Küste. Zahlreiche Windräder stellen sich ihm entgegen. Die Solarzellen, wie wir sie aus dem Süden kennen, machen sich dagegen rar. Jede Region hat ihre eigenen Stärken. Meine eigene nimmt ab, erst ganz langsam, dann, kurz vor Hannover, abrupt. Der dritte Tag ist immer der Schwerste für mich.
Im Gegenwind schleppe ich mich an Eckhards Hinterrad bis Burgdorf, nordöstlich von Hannover. Magenprobleme, wieder mal, und dringender Bedarf an Energiezufuhr plagen mich gleichzeitig. Burgdorf selbst streifen wir nur, eine ansprechende Kneipe suchen wir vergebens. Hier laufen Eckhards und meine Strategie auseinander: Mein Begleiter muss weiter, hat keine Zeit zu verlieren und noch die ganze Nacht auf dem Rad vor sich, will er die Fähre in Travemünde, wozu er sich nun entschieden hat, besteigen. Mir dagegen ist nun allein wichtig, meinen Körper in einen gewissen Ruhezustand zu versetzen. Erst am Ortsausgang finden wir ein einsames Restaurant, wir sind die einzigen Gäste, merkwürdig ist das Ganze, zumal am Nebentisch eingedeckt wird, als würden noch fünfundzwanzig Esser erwartet. Aber bis zehn Uhr kommt niemand. Ab hier, so ist's geplant, gehen wir getrennte Wege. Wir stoßen an auf die gemeinsamen fast fünfhundert Kilometer der letzten beiden Tage. Ich denke, wir bedauern beide, dass unsere feine Reisegesellschaft heute abend auseinanderbricht und unser Gespräch wird monoton. Eckhard verschwindet kurz vor unserem Aufbruch mit Telefon nach draußen. Als er zurückkommt, hat er seine gesamte Planung umgeworfen und neue Abfahrtszeiten für die Fähre ausgecheckt: Sonntag früh. Er hat sichtlich mit sich gerungen, was mich nicht unberührt lässt, zumal mein Kompagnon weiß, dass mit mir heute abend nichts mehr zu reißen ist.
So sitzen wir beide wieder auf, reiten ins Abendrot, auf der Suche nach einer Bleibe für die kühle Nacht. Meinen Teller habe ich nicht leergegessen, mein Glas nicht leergetrunken - ein schlechtes Omen für morgen.
In Nienhagen, bereits auf der Gemarkung Celle, bietet sich nach langer erfolgloser Suche eine kleine Wiese im Ortskern als Schlafplatz an. Zuvor haben wir das Unterfangen aufgegeben, auf Exxon-Mobil-Firmengelände zu nächtigen, nachdem der Pförtner wegen uns sichtlich in Unruhe geraten ist. Celle war die Pflicht für heute. Mir genügt's.
Strecke: |
279 km |
Zeit: |
10:58 h |
Schnitt: |
25,4 km/h |
Höhendifferenz: |
860m |