Freitag, 24. Juni 2016
Zum Morgen hin setzt der Regen ein und wir sind froh, dass wir nicht auf dem Aubisque erwachen, sondern zwischen den hoppelnden Hasen unseres Campingplatzes. Die Temperaturen sind empfindlich gesunken. Ich bin froh, dem Campingplatzbesitzer nicht mehr über den Weg zu laufen - die Läden an seinem Wohnhaus sind noch geschlossen, als wir aufbrechen. So schieben wir ihm einen Umschlag mit einem Schein in den verrosteten Briefkasten. Unser Frühstück nehmen wir in einer Bar im Ort ein. Das einzige Gesprächsthema ist die am Vortag in England vollzogene Abstimmung über den Brexit. Die Unterhaltung wird über die Tische hinweg geführt und selbst unsere unmaßgeblichen Ansichten werden zur örtlichen Meinungsbildung herangezogen. Nicht alle Anwesenden sind betrübt über diese Entscheidung der englischen Bevölkerung. Nach dem zweiten Kaffee wendet sich der Gesprächsverlauf dann schließlich unserer Reise zu, und auch hier gehen die Emotionen hoch - unser Tischnachbar ist selbst passionierter Radfahrer. Er gibt uns den dringenden Rat, uns den Col de Bagargui nicht entgehenzulassen.
Zunächst jedoch steht der Col de Marie-Blanque an. Als Pass steht er eher im Schatten der Klassiker, aber hat er es durchaus in sich: die Anstiege ziehen sich ohne Verschnaufpause hin, erst nach fünfhundert Höhenmetern kommt das erste Flachstück. Hier grasen Pferde, irgendwo marschiert eine Schulklasse durch den Nebel, ansonsten sind wir weitgehend allein in dieser wolkenverhangenen Szenerie. Eine Kapelle auf der Hälfte des Weges lockt ein paar Wanderer an, auch sie stecken im Nebel. Dann herrscht wieder Stille bis hoch zum Passschild: 1035 Meter.
Erst auf der Nationalstraße N 134 im Tal, der wir ein paar Kilometer nordwärts folgen, kommt wieder etwas Leben in die Gegend, aber der Verkehr hält sehr in Grenzen. In Arrette bieten sich ein paar Picknickbänke zum Verweilen an, es geht bereits auf zwei Uhr zu, und wir schlagen die Gelegenheit nicht aus. Neben uns versammelt sich eine Grundschulklasse, die über die Bedeutung des Mühlsteins, über den wir unser Zelt zum Trocknen aufgehängt haben, aufgeklärt wird. Selbstverständlich geben wir dieses historische Zeugnis den Blicken frei und hängen unser Zelt an anderer Stelle auf. In der Ortsmitte sehen wir vor einem Restaurant die Räder von gestern Abend wieder – bestückt mit zwei Taschen aus festem englischen Segeltuch an den Sattelstützen und zwei Lenkertaschen.
Wir haben uns entschieden, trotz der schlechten Prognosen, in Richtung Bagargui zu fahren. Er wird morgen die letzte Hürde vor der Ankunft am Atlantik sein. Für heute folgen wir dem Lauf des Larrigau – begleitet von feinem Nieseln, das uns in die Regenjacken zwingt. Bei einem Kaffee an einer Wanderherberge sehen wir erneut das Paar auf ihren leicht bepackten Rädern an uns vorbeiziehen. Sie sind deutlich jünger als wir. Kurz zögern sie, ob sie ebenfalls einkehren sollten, dann ziehen sie weiter ihres Weges, während auch wir wieder unsere Räder besteigen. Ein letzter Anstieg führt uns hoch nach Larrau und fast zeitgleich erreichen wir die Einfahrt zum dortigen Campingplatz, während der Regen immer schlimmer wird. Auch sie wählen den Weg der sicheren Unterkunft, wobei ich fast überrascht bin, dass sich unter ihren Habseligkeiten auch ein Zelt Platz findet.
Wir haben enormes Glück: die Campingplatzbesitzerin bietet uns den – gemessen an unseren bescheidenen Ansprüchen – geradezu feudalen Aufenthaltsraum, der auch als ihr Büro fungiert, zum Kochen und abendlichen Verweilen an und drückt beide Augen zu, als wir keine großen Anstalten machen, unser Zelt auf der nassen Wiese aufzustellen. Man möchte ihr um den Hals fallen. Mit den beiden jungen Engländern verbringen wir einen angeregten Abend bei Sekt, Wein und Spaghetti. Der Brexit ist selbstverständlich vorherrschendes Thema, sie beide verzweifeln schier am Votum der konservativen Alten, die die Folgen dieser Entscheidung selbst nicht mehr auszubaden haben. Wir reden auch über ihr leichtes Gepäck und ich stelle fest, dass es mit Bedacht und viel Sachverstand zusammengestellt wurde. Man lernt nie aus... Die Nacht verbringen wir auf unseren Isomatten im Warmen, nachdem wir den Abwasch in deutsch-englischer Gemeinschaftsproduktion in tadelloser Manier hinter uns gebracht haben: alles glänzt wie am ersten Tag. Die beiden Engländer ziehen es vor, in ihrem Zelt zu nächtigen.
Strecke: |
75 km |
Höhendifferenz: |
1330 m |