Samstag, 25. Juni 2016
Wir verlassen einen der sympathischsten Campingplätze Europas bei strömendem Regen. Da hilft auch nicht, das Frühstück hinauszuzögern. Trotz ihres Zeltabbaus sind uns die Engländer voraus und vor uns auf dem Weg. Der Morgen ist nicht die Zeit, in der wir beide bereits zur Hochform aufzulaufen pflegen.
Der Col de Bagargui ist, wie von unserem Berater in Laruns angekündigt, sehr steil, woran auch der Nebel nur insofern etwas ändert, wie dass sich die Rampen erst in Hundert-Meter-Etappen offenbaren. Ich bin überrascht, wie klaglos meine Frau die Anstiege meistert, selbst die Zwölf-Prozenter scheinen ihr nicht mehr Mühe zu bereiten als mir. Die Landschaft ist, soweit wir dies angesichts der beschränkten Sicht überhaupt beurteilen können, spektakulär und märchenhaft zugleich.
Auf 1327 Metern befindet sich eine Herberge, die den Abschluss dieser finalen Reifeprüfung markiert, und nur zu gerne wärmen wir uns im Inneren auf, zumal nun auch wieder leichter Niederschlag eingesetzt hat. Viele Spanier sitzen in der Gaststube und schon laufen die Vorbereitungen fürs Mittagessen auf Hochtouren. Wir begeben uns, nachdem wir die Karte ausführlich studiert haben und auch sonst nichts mehr zu erledigen wissen, erneut in den Regen hinaus und es stellt sich eine Gelassenheit ein, von der man gerne eine Scheibe abschneiden würde, um sie in den Alltag hinüberzuretten. Der Regen ist für heute ein fester Bestandteil dieser Bergwelt geworden, die wir in den vergangenen Tagen zutiefst genossen haben, und selbst wenn gleich schon wieder die durchnässte Kleidung auf der Haut klebt: es ist nicht wirklich schlimm. Mit diesem letzten schweren Pass werden wir die Pyrenäen hinter uns lassen. Es geht ein für alle Mal talwärts – mit kleinen Gegenanstiegen, die uns endlich auch eine gewisse Vorfreude aufs Meer bescheren. Doch mit jedem Kilometer, der uns der Ebene näher bringt, wächst auch das Bedauern darüber, diese phantastische Bergwelt hinter uns zu lassen. Immerhin: die Temperaturen steigen signifikant, der Regen hat bereits vor unserer Ankunft in Saint-Jean-Pied-de-Port nachgelassen.
Ausgangspunkt von Scharen von Pilgern in Richtung Compostella, ist dieser baskische Ort wie ein Bienenstock. An einer der Ausfallstraßen treffen wir unsere beiden Engländer noch einmal beim Mittagessen und wechseln noch ein paar Sätze mit ihnen. Wir selbst lassen uns im Zentrum nieder, die Aufbruchstimmung der Pilger liegt wie elektrische Ladung über den Gassen. Für uns hingegen rückt das Ende in Sichtweite, noch sechzig Kilometer trennen uns vom Ziel. Das Treiben an den Atlantikstränden wird anders sein: mondäner, kommerzieller, auf bestimmte Weise auch einfältiger. Mit den Höhen scheint auch ein gewisser Tiefgang einherzugehen – wie bei einem Dampfer, der tief ins Wasser einsinkt, während nur seine gewaltigen Aufbauten Erstaunen hervorrufen. Jedenfalls rede ich mir das gerne ein.
Am späten Nachmittag erreichen wir Saint-Jean-de-Luz. Wie ein silberner Teppich liegt der Atlantik zu unseren Füßen ausgerollt bis zum Horizont, gesäumt von weißen Schaumkronen, die am Strand auslaufen. Das alljährliche Stadtfest ist just in vollem Gange, die Straßen und Uferpromenaden quellen über von ausgelassenen Einheimischen in rot-grünen Trachten, an etlichen Plätzen der Innenstadt spielen Musiker traditionelle baskische Weisen. Nach den Tagen in den Bergen kommen wir uns etwas fehl am Platze vor, auch wenn uns eine gewisse Neugier durch die engen Straßen treibt. Von unserem Texaner erfahren wir per Mail, dass er mit seinem desolaten Rad endgültig zwanzig Kilometer landeinwärts gestrandet ist. Um zur Küste zu gelangen, wird er einen Zug nehmen müssen.
Wir finden einen Campingplatz außerhalb des Zentrums, einen Kilometer vom Atlantik entfernt. Bei Wellenrauschen und einer warmen Brise vom Meer her knallt in der Dämmerung ein Sektkorken. Zwei frisch geduschte Menschen stoßen aufeinander und auf die Pyrenäen an. Sie haben auf ihren Rädern etwa 800 Kilometer hinter sich gebracht. Sie sind ziemlich glücklich. Mehr wollen wir nicht verraten.
Strecke: |
98 km |
Höhendifferenz: |
1900 m |