Samstag, 30. Juni 2007
Heute heißt es Abschied nehmen von den Pyrenäen. Auch bei meinem zweiten Besuch werden mir ihr freundlicher Empfang, ihre Ruhe und ihre unaufdringliche Schönheit in bester Erinnerung bleiben. Und wie bei guten Freunden sollte man zur rechten Zeit an die Weiterreise denken.
Ich schlafe heute länger als an den letzten Tagen. Dann ziehe ich mein übliches Programm durch, bis die Packtaschen am Rad hängen und der Helm auf dem Kopf sitzt. Das Paar neben mir, Wanderer, macht sich vor mir auf den Weg, der Belgier gibt die ersten Lebenszeichen von sich, als ich den Platz verlasse.
Zwei letzte Pässe liegen auf meiner Strecke: der Col de Soulor und der Col d'Aubisque, noch einmal stoße ich in die Herzregion der Pyrenäen vor. Gleich am Ortsausgang treffe ich die beiden älteren Herren - zwei Schweden - wieder, die gestern am Steilstück in La Mongie ihr Rad geschoben haben. Wir reden kurz miteinander, dann lege ich wieder einen Zahn zu, talwärts Richtung Argelès-Gazost. Blauer Himmel steht über diesem fabelhaften Morgen. Zahlreiche Radfahrer kommen mir in der Gorge de Luz entgegen, auf dem Weg zum Tourmalet.
Ich treffe das Paar mit Rennrädern und Begleitfahrzeug wieder, die mir seit der Abfahrt vom Col de Menté gestern früh etliche Male begegnet sind. Der Mann, in den Siebzigern, befindet sich trotz seines hohen Alters auf einer 5000-km-Tour rund um Frankreich, zusammen mit seiner etwa fünfzigjährigen Begleiterin. Von ihr höre ich, dass sie bei ihrem dritten Paris-Brest-Paris eine Zeit von 59 Stunden hingelegt hat - 1200 Kilometer ohne Schlaf! - und mir scheint, dass es in dierser Gegend von modernen Abenteurern nur so wimmelt und es macht mich etwas stolz, Teil dieser liebenswürdigen Familie zu sein.
Der Col de Soulor ist mein letzter großer Anstieg. Azurblau spannt sich der Pyrenäenhimmel über mir, und trotz meines straffen Tempos genieße ich jeden Meter Asphalt, selbst jenes Steilstück im mittleren Bereich, das meine Beine in Brand setzt. Ein Fahrer auf einem Look-Renner überholt mich hier und ich hefte mich an seine Fersen. Kaum hat er die Bergpunkte erobert, werden aus zwei Konkurrenten Gleichgesinnte, die sich an Wetter und Landschaft ergötzen, während er auf seine Freunde wartet, die kurz darauf zusammen mit meinem Abenteurerpaar eintreffen.
Zum Col d'Aubisque führen mich zehn weitgehend flache Kilometer, nur das letzte Stück hat es noch einmal in sich. Melancholie erfasst mich auf dem Gipfel. Den Fahrer des Wohnmobils, das meinen zwei Weggefährten Geleitschutz gibt, bitte ich, ein Gipfelbild von mir zu machen, dann lasse ich es zurückrollen zum Soulor. Langsam, sehr langsam. Eine letzte tour d'honneur. Zum Abschied zeigt sich das Gebirge im grünen Festtagsgewand.
Auf dem Col de Soulor lege ich meine Mittagspause ein. Danach stürze ich mich in die Abfahrt. Der Wechsel vom Departement Hautes-Pyrenées zum Departement Pyrenées-Atlantiques. In ein paar Wochen werde ich euch im Fernsehen wiedersehen, wenn euch die Karawane der Tour de France überrollt.
In rauschender Fahrt erfasst mich ein plötzlicher Schwindel und zwingt mich zu einem abrupten Stopp. Müdigkeit, Hitze? Ich lege mich bei nächster Gelegenheit ins Gras und falle in einen tiefen Schlaf. Als ich aufwache, sind die Pyrenäen - wie von Zauberhand - hinter der Wegbiegung verschwunden, wellige Vorgebirgslandschaft dehnt sich vor mir aus.
In glühender Hitze durchquere ich an diesem Nachmittag Pau, fahre weiter nordwärts bis Hagetmau, wo ich um 19.15 Uhr eben noch in einen Supermarkt huschen kann. Ich bin nach 170 Kilometern müde und freue mich auf den Campingplatz. Aber ach! Direkt daneben ist in der Festhalle eine Riesenparty zugange und mit 22 € - auch für Randonneure - liegt der Preis jenseits aller Vernunft. Also spule nochmals zwölf wellige Kilometer bis St. Sever ab. Der Zeltplatz hier ist das schiere Gegenteil: ruhig, großzügige Plätze, preiswert. Die patrons kochen vor Ort und setzen sich, als es längst dunkel ist, zum Essen vor den Empfang. Spät erst fahren sie nach Hause. Mir haben sie einen Tisch und einen Stuhl zur Verfügung gestellt und ich lasse mich vom Vollmond, den Bildern des Tages und vom Rotwein bezaubern.
Strecke: |
183 km |
Zeit: |
8:00 h |
Schnitt: |
22,9 km/h |
Höhendifferenz: |
2010 m |