Freitag, 17. Juni 2016
Nachdem wir gestern kaum einen nennenswerten Pass hinter uns gebracht haben – zu erwähnen wäre allenfalls der Col de Saint Louis an der Grenze zum Département der Pyrenées orientales, der allerdings weniger wegen seiner Höhe von 706 Metern als seiner bewaldeten Abgeschiedenheit Beachtung verdient hat, geht es heute los mit den Bergen. Gleich der erste ist einer der schwersten: der Col de Port de Pailhères mit einer Höhendifferenz von etwa 1600 Metern ab Axat.
Das Tal der Aude hochzukurbeln, ist selbst mit Gepäck noch die leichtere Übung: der Anstieg aus dem Talschatten heraus hinein in die Morgensonne ist flach und gleichmäßig. Der Himmel ist von einem leuchtenden Blau, so dass sich meine Frau zu der Behauptung hinreißen lässt, dass wir wettermäßig bis oben hin nichts zu befürchten hätten. Bereits in Mijanès jedoch, auf 1100 Metern gelegen, wo wir uns vom Lockruf eines freien Picknicktisches dazu hinreißen lassen, noch vor der Zeit eine Mittagsrast einzulegen, zieht der Himmel zu und die Kälte der Gebirgsregionen hält unbarmherzig Einzug. Der Weichkäse auf dem Teller bleibt heute bestens in Form, jedenfalls bis die Taschenmesser zustechen. Man zieht sich gerne eine Jacke über.
Der Port de Pailhères ist im oberen Teil überzogen mit Ginster, der dem düsteren Himmel frech ins Gesicht lacht. Schafe verteilen sich über die Weiden. Die Szenerie ist friedlich und gleichzeitig packend – und steil: was immer man hier oben sucht, man bekommt es nicht umsonst. Meine Frau kurbelt und kurbelt und ich bin erstaunt, wie gut sie, die seit Jahren keinen vergleichbaren Pass mehr gefahren ist, die Aufgabe bewältigt: die Pyrenäen verleihen Flügel. Auf dem Gipfel stoßen wir auf eine weitere Deutsche, die ihr Rennrad an die Schutzhütte gelehnt hat und frierend auf ihre Begleiterin wartet. Dichte Wolken haben sich an der Zweitausend-Meter-Grenze festgebissen und machen den Aufenthalt hier oben zu einer ernsten Angelegenheit, die man zwar gerne, aber nicht allzu lange über sich ergehen lassen möchte. Zwei Stunden später stehen wir auf dem Col de Chioula auf 1431 Metern, auf einem Notizzettel die Adresse einer Pension an der Route des Corniches, die wir uns in einem Café im Auslauf vom Port de Pailhères haben geben lassen. Die Wetterprognosen seien hoffnungslos, sagte der Wirt nach einem Blick ins Internet, und steckte uns die Adresse zu. So saugen wir die letzten Sonnenstahlen auf, die uns auf dem Chioula vergönnt sind und sehen dem Abend gespannt entgegen – aber natürlich denken wir, wie jeder vernünftige Mensch, dass wir sicher mit einem blauen Auge davon kommen.
Die Route des Corniches hat ihren ganz besonderen Charme mit ihrem Verlauf oberhalb des Ariège-Tals, das – wie häufig in den Pyrenäen – so wirkt, als wäre es dem Lauf der Zeit entzogen. In sanften Schwüngen führt die Straße zum Tal hin. Der Versuch, hier ein Chambre d‘Hôte zu mieten, scheitert an der verschlossenen Tür einer solchen Unterkunft. So lassen wir es entgegen unserem eigentlichen Plan weiter talwärts rollen, bis wir schließlich doch die Hauptstraße, die N 20, touchieren. Noch einmal zeigt sich die Sonne und im gleichen Moment auch ein Campingplatzschild, und ungeachtet der Schreckensprognosen und unserer Planung, heben wir in trotziger Kühnheit unser Zelt in die Senkrechte. Vorsichtshalber fahren wir nach dieser Prozedur zügig in den nächsten Ort, Les Cabannes, um Essen zu gehen. Eine gute Wahl: draußen regnet es kurz darauf in Strömen, während wir mit unseren Tischnachbarn und am Ende auch noch mit den Wirtsleuten in rege Gespräche eintauchen, die keiner so recht beenden will – das garstige Wetter draußen und der Wein in den Gläsern tun ihr Übriges. Im Spiegel der sanitären Anlagen hätten wir danach eigentlich ein blaues Auge sehen müssen. Aber wahrscheinlich ist es an diesem Abend zu spät für solche Details.
Strecke: |
89 km |
Höhendifferenz: |
1615 m |