Donnerstag, 5. September 2019
| Strecke |
Schneller als gedacht liegen die Alpen hinter mir, und nur noch gut einhundert Kilometer vor mir: Grund genug, den heutigen Tag etwas gemächlicher anzugehen. Meine holländischen Nachbarn brechen mit herzlichem Abschiedsgruß bereits zu ihrer heutigen Tagestour auf, als mein Kaffeewasser die ersten Bläschen wirft. Irgendwann nach neun Uhr sind Zelt, Schlafsack und der ganze Rest wieder am Rad vertäut und ein neues Kapitel wird aufgeschlagen.
Das Château von Taillard verschwindet bald schon hinter der provençalischen Flora und mit phantastischem Rückenwind geht es unter südlicher Sonne durch die üppigen Obstplantagen entlang der Durance in Richtung Sisteron – bei entgegenkommenden Radfahrern meine ich fast, mich für die Windverhältnisse entschuldigen zu müssen.
Sisteron gilt als das Tor zur Provence und der touristische Andrang ist unübersehbar. Um ins Zentrum zu gelangen, muss man durch einen Tunnel und für einen Moment spiele ich mit dem Gedanken, mich dort, zwischen Zitadelle und Durance, für einen Kaffee unter die zahlreichen Besucher zu mischen und ganz nebenbei noch etwas Proviant zu besorgen. Nur: was Städte anbelangt, bin ich nicht der geborene Draufgänger, was eher einer Unzulänglichkeit in grundlegenden touristischen Kompetenzen zuzuschreiben ist als schlechten Erfahrungen, sieht man einmal vom Verkehr ab. Die Gassen sind zumeist einen Blick wert, die Boutiquen reizvoll, die Cafés nicht selten charmant. Und doch reicht ein kleiner Tunnel aus, um mich davon zu überzeugen, dass ich für dieses Mal lieber einen Bogen um die Stadt mache, indem ich statt des Tunnels die Brücke am Ortseingang wähle, um den Trubel elegant zu umfahren. Vielleicht beim nächsten Mal.
Kaum ist Sisteron wieder hinter den Kehren entlang der Durance verschwunden, wird es erneut beschaulich. Meinen Proviant finde ich ein paar Kilometer weiter, wo ich unter den wachsamen Augen zweier schwatzender Damen mein Rad neben den Auslagen einer Epicerie abstelle. Anders als in den vergangenen Tagen wird heute auch die Mittagspause nicht in den Nachmittag hinein verschoben, sondern schon kurz nach 12 Uhr lässt sich beobachten, wie ein Radfahrer sein Vehikel an eine Bank nahe der Durance lehnt und sich im Schatten ausladender Steineichen ein Bier zum Vesper gönnt. Es sei ihm gestattet, denn auch wenn er in seiner heillosen Selbstüberschätzung mehr Wegstrecke vorhatte, so hat er doch in den vergangenen vier Tagen knapp siebenhundert Kilometer und über zehntausend Höhenmeter bewältigt.
Er denkt, er sei so gut wie am Ziel angekommen, was stimmt, wenn man außer acht lässt, dass er an diesem Nachmittag noch im Schweiße seines Angesichts die zähe Auffahrt auf den Col d‘Espinouse hinter sich bringen wird und bei Puimoisson eine Hochebene zu erklimmen hat, ehe er gegen 16 Uhr sein Ziel, Moustiers-Sainte-Marie, erreichen wird.
Die nächsten Tage wird das Fahrrad keine Rolle mehr spielen, was wie immer bedauerlich, aber – ist erst einmal der Schlendrian eingerissen – geradezu unvermeidlich ist.
Strecke: |
107 km |
Höhendifferenz: |
1450 m |
Schnitt: |
22,2 km/h |