Sonntag, 16.06.2013
| Strecke |
Das Rot der Mohnfelder, die links und rechts von uns vorüberziehen, sobald wir die ehemalige Hauptstadt Corte hinter uns gelassen haben, ist selbst für einen Nicht-Botaniker wie mich bestechend. Dazu passend blauer, wolkenloser Himmel. Wir verfolgen ein kleines Sträßchen entlang des Tavigano, der nach Osten dem Mittelmeer zufließt, fürs Erste unsere Richtung. Es geht bergab - eine sachter, einem Sonntag angemessener Einstieg. Selbst die Nationalstraße, die sich kurz darauf anschließt, ist nahezu ausgestorben. Wir haben es heute geschafft, unsere Habseligkeiten früher als gestern in die vier großen Packtaschen zu stopfen und bereits gegen halb neun dem Campingplatz zu räumen. Ein schönes Gefühl, dem jungen Tag entgegenzufahren.
Es war unsere spontane Entscheidung in Bastia, fernab der Küste den Weg nach Süden zu suchen, und bisher hat es sich ausgezahlt, auch wenn wir es gestern hin und wieder bedauert hatten, dass wir vom Inseldasein Korsikas nur wenig Eindrücke sammeln konnten - nur am ersten Tag war es uns vergönnt, Ausblicke aufs Meer zu erhaschen. Auch heute würde es nicht anders werden. Hinzu kommt nun die Aussicht, dass es schwieriger sein dürfte, einen Campingplatz zu finden. Aber all das muss einen nicht belasten, wenn man in der Morgensonne durch einsame Flusstäler streift, ausgeruht und neugierig auf einen neuen Tag auf dem Rad.
Die Gebirge der Insel sind nicht zu verachten - die höchsten Berge erheben sich auf deutlich über 2500 Meter. Diese Gebirszone würden wir heute streifen. Zunächst sind wir froh, dass wir in Vezzani ein offenes Lebensmittelgeschäft finden, in dem wir all die netten Kleinigkeiten besorgen können, die ein Tag in einsamen Regionen bereichern, andererseits aber auch unsere Taschen beschweren. Das nimmt man angesichts der korsischen Feinkost gerne in Kauf. Insbesondere der regionale Käse hat es uns angetan, ein halbfester bis fester Schnittkäse aus Schafsmilch. Dazu der leichte Rosé, der an der Ostküste angebaut wird. Meine Frau schwärmt zudem von den korsischen Keksen, deren schwierige Namen sie sich problemlos merken kann. Wir sind bestens ausstaffiert, als wir uns anschicken, Vezzani wieder zu verlassen. Während ich vor dem Geschäft warte, unterhält sich ein ein glatzköpfiger Anwohner leidenschaftlich und mit ausladenden Gesten mit mir übers Radfahren. Er legt vor allem Wert auf die anstrengende Seite der Tätigkeit. Ich bezweifle, dass er es je selbst probiert hat. In dem einen Punkt, dass es hier nicht flach ist, hat er jedenfalls recht. Andererseits sind die Anstiege nirgendwo sehr steil und auch mit viel Gepäck gut zu befahren. Der Glatzkopf winkt uns freundlich nach, als wir talwärts weiterfahren.
Eines unserer gemeinsamen Handicaps beim Radurlaub ist, dass wir uns nur selten spontan für einen Rastplatz entscheiden können, weil wir immer irgendetwas auszusetzen haben: zu sonnig, zu nah an der Straße, zu wenig Aussicht, zu viele Schafsköttel, etc. Dies hat gerne zu Folge, dass wir weit über die geplante Zeit hinaus auf dem Rad sitzen und rumnörgeln. Heute kommte es nach allenfalls kurzem Nörgeln anders: an den Défilé d'Inzecca, eine in charakteristischem kaminroten Felsgestein eingefasste Schlucht, die der heutige Route ihren eigenen Glanz verleiht, schließt sich ein Stausee an, an dessen schattigem Ufer wir, ohne auch nur ein abfälliges Wort zu verlieren, unsere kulinarischen Mitbringsel auspacken. Der Platz ist perfekt und der Zeitpunkt ist ideal. Wir schalten in den Hedonistenmodus um.
Der Weg nach Ghisoni schlängelt sich höher und höher. Vor uns taucht schneebedecktes korsisches Hochgebirge auf - ein hochwertiger Ersatz für den fehlenden Blick aufs Meer. Es kommt etwas unerwartet, dass sich selbst in diesen Breitengraden der Schnee bin in den Juni hinein hält. Die Straße macht einen großzügigen Bogen nach Süden, folgt dem Fluss Orbo, der sich zwischen zwei Gebirgsketten hinzieht. Die Auffahrt auf den Col de Verde mit seinen 1289 m wird unsere heutige Großtat - der flache Anstieg inmitten der Schatten spendenden Wälder entbehrt jedoch jeder Härte. Die Überraschung ist groß, als wir auf dem Pass eine Art Wanderherberge vorfinden und noch mehr, als wir auf ihrer abschüssigen Hangseite auf in den Fels gebauten Terrassen eine ganze Menge Zelte stehen sehen. Es stellt sich heraus, dass hier die GR-20-Freaks gerne Station machen - Wanderer, die Korsika auf dem renomierten Höhenweg durchqueren. Es sind unkomplizierte und auf ihre Sache konzentrierte meist junge Leute, die sich ohne Murren in die Schlange vor den Duschen einreihen. Etliche treffen zu dieser abendlichen Stunde noch ein, sichtlich erschöpft vom Tagesmarsch. Sie stellen ihr Zelt auf, kochen sich eine Kleinigkeit und verschwinden, noch ehe es richtig dunkel ist, ohne viele Worte in ihren Zelten. Die Etappen sind offensichtlich herausfordernd. In dieser Hinsicht sind wir deutlich besser dran. Und auch darin, dass wir uns morgen früh nur aufs Rad setzen müssen, und schon wird unsere Fuhre talwärts rollen, während unsere Zeltnachbarn ihre dicken Rucksäcke bergan schleppen werden, auf den Bocca dell Oro. Der Aufstieg soll sich lohnen, erfahren wir von kompetenter Seite. Kann man sich ja mal merken.
Strecke: |
78 km |
Zeit: |
5:33 h |
Schnitt: |
14,0 km/h |
Höhendifferenz: |
1530 m |