Es wurde ja bereits viel Schlechtes über Autofahrer geschrieben, auch von mir. Sie seien Rüpel, Raser und Umweltschänder. Und natürlich Oberlehrer ("Da drüben ist der Radweg!"). Ich kann mir gut vorstellen, wie sehr eine solche Berichterstattung an die Nieren gehen gehen kann. Muss man sich dann noch mit seinem Pkw durch die in manchen Stadtvierteln überhand nehmenden Massen von respektlosen Fußgängern und Radfahrern zwängen, kann man heutzutage fast nicht mehr sicher sein, dass man als unbescholtener Fahrzeuglenker nicht vom aufgehetzten Ökomob spontan gelyncht wird. Noch härter trifft es hier die Fahrer von Geländewagen, die - als bevorzugte Zielscheibe - nur in abgeriegelten Tiefgaragen sicher ihrer gepanzerte Hülle entsteigen können. Auch in meinem Freundes- und Verwandtenkreis gibt es Autofahrer und ihr Schicksal lässt mich nicht unberührt. Deswegen halte ich die Zeit für gekommen, mich dem allgemeinen Trend entgegenzustemmen und an dieser Stelle einmal eine Lanze für die motorisierten Mitbürger zu brechen.
Eine besondere Begegnung an einem wunderschönen und friedlichen Tag in der französischen Provinz gibt mir dazu Anlass. In einer engen Serpentine kam mir ein Fahrzeug recht ungeschickt entgegen, so dass mir nur übrigblieb, mich auf den seitlichen Geröllstreifen zu retten, um nicht unter die Räder zu kommen. Anstatt nun, wie gemeinhin angenommen werden könnte, mich anzupöbeln, was ich auf dieser Straße zu suchen hätte, zeigte sich der Fahrer vollkommen konsterniert über sein Versehen, schlug sich mit der Faust gegen sein Hirn, während er vor sich hinstammelte, dass er sich in den Hintern beißen könnte und wie ihm dies nur passieren konnte. All dies zeugte von wahrer menschlicher Größe und Einsichtsfähigkeit, wie sie eben auch bei Autofahrern anzutreffen ist. Geländewagenfahrer können hier jedoch von Glück sagen, dass es keiner der ihren war, der mir entgegen kam - ein solches Fahrzeug hätte mich fraglos an den Fels gedrückt. In diesem Fall wäre mein Lobgesang auf die Tugend der Autofahrer auch etwas verhaltener ausgefallen. So aber blieb mir genug Geistesgegenwart, seine Entschuldigung anzunehmen, Verständnis dafür zu äußern, dass die Morgensonne ihn derart geblendet hatte, und ihm glaubhaft zu versichern, dass wirklich nichts passiert sei. Zum Abschied wünschten wir uns eine gute Weiterfahrt und waren wahrscheinlich beide überzeugt davon, dass wir es mit mit einem außerordentlich netten Gegenüber zu tun hatten.
Kopf hoch! möchte ich also all jenen zurufen, die sich eingeklemmt zwischen Airbag und Nackenstütze tagtäglich aufrichtig um Übersicht im Straßenverkehr bemühen: lasst euch von der allgegenwärtigen Stimmungsmache nicht die gute Laune verderben. 5000 Verkehrstote im Jahr sind zwar kein Pappenstiel, aber wie meine Geschichte verdeutlicht, ist ja doch eher Ungeschicklichkeit als Boshaftigkeit im Spiel, wenn's dann mal knallt. Habt Nachsicht! appelliere ich an meinesgleichen, überzeugt davon, dass der Autofahrer als solcher das Zeug zu einem tugendhaften Menschen hat. Bei Geländewagenfahrern liegen die Dinge geringfügig anders. Die müssen erst mal erwachsen werden. Danach lässt sich mehr dazu sagen.
Januar 2011