Hatte ich lange Zeit geglaubt, es gäbe kein edleres Tun, als Rad zu fahren, so hat mich heute mein alter Freund ⇒Stefan Amannsberger aus dem Bayerischen eines Besseren belehrt. Ich fand seine neueste CD im Briefkasten, just als ich mich auf meine erste Tour des neuen Jahres begeben wollte.
Vor etlichen Jahren hatte ich das Glück, für seine CD Lines of Wood zu seinem Gitarrenzauber ein paar Töne aus meinem Kontrabass beisteuern zu dürfen. Es war eine schöne Zusammenarbeit gewesen. So legte ich also, höchst neugierig, die Neue ein, als eben die Wintersonne über die Baumwipfel stieg und ihr bleiches Licht ins Wohnzimmer fiel. Sein neues Werk heißt Piccolo Paradiso und für lange, ruhige Minuten versank ich in Stefans kleinen Paradiesen und vergaß vollkommen, was mir bis gerade eben noch das Wichtigste auf diesem Planeten schien: die schnöde Neujahrsnull auf meinem Tacho zu tilgen. Musik, so ging mir plötzlich auf, hat im Vergleich zum Radfahren den Vorteil, dass man seine Freude weiterschenken kann, während wir Radfahrer auf unserer Freude sitzen bleiben.
Zwei Sommer zurück hatte ich ein ähnliches Erlebnis im Zug, wo ich mit triefendem Rad unter dem Arm wegen eines Unwetters eingestiegen war. Ein junger Mann in blütenweißem Hemd saß samt Gitarre im Nebenabteil und spielte Stücke von Isaac Albeniz und Leo Brouwer. Klänge aus einer anderen Welt. Kein Ton wurde gesprochen und selbst der Schaffner wagte es nicht, den Kerl nach seiner Fahrkarte zu fragen. Beneidenswert. Unsereiner fährt sich die Seele aus dem Leib, um das Glück zu finden, während andere es einfach nur auf sich herunterrieseln lassen und es mit scheinbar lässigen Fingerübungen ins Publikum schnippen. So oder so ähnlich schoss es mir durch den Kopf. Wer den Titelsong von Piccolo Paradiso hört, Ticino II oder Waiting for spring, weiß, wovon ich rede.
Meine Tour habe ich dennoch gemacht, 65 Kilometer durch die schneidende Kälte. Alles halb so schlimm. Der Himmel war strahlend blau. Frozen Paradise würde ich's nennen. Tonart: D-Dur.
Januar 2008