Sonntag, 25. August 2020
| Strecke |
Eine unruhige Nacht liegt hinter mir, als ich meine Sachen wieder in die Säcke stopfe, voller Tiergeschrei, Trampeln, Rascheln, Scharren und Knacken von Ästen. Während ich versucht habe, in den Schlaf zu finden, erwachte die Fauna von Notre-Dame-du-Pré zu Leben. Je nach Standpunkt kann das pure Romantik sein, ich habe diese allerdings nach kurzer Zeit mit meinen Ohrstöpseln abgewürgt.
Das Sonntagsfrühstück nehme ich im Tal ein. Zuerst sehe ich einen Brunnen am Ortseingang von Les Plaines mit seinem gewaltigen Strahl von kaltem Quellwasser und gleich darauf mit großer Genugtuung einen Picknicktisch im angrenzenden Park. Der Capuccino aus der Tüte, im heißen Wasser aufgelöst, ist ein Gedicht.
Auch heute früh gelingt es mir, mich von der N90 fernzuhalten, die Alternativstrecke ist problemlos befahrbar und ich könnte platzen vor Stolz über meine gelungene Routenplanung. Nur zögernd allerdings begebe ich mich in den Col de la Madeleine, ungeachtet der Tatsache, dass er der geschichtsträchtigste Pass auf dieser Tour sein wird. Wenn ich morgen Nachmittag in Genf zurück sein möchte, werde ich mich auf dieser Route heute nicht auf die faule Haut legen können.
Den Vormittag über bin ich mit den rund 1500 Höhenmetern des Col de la Madeleine beschäftigt, von 9 Uhr 30 bis 11 Uhr 40. Die Temperaturen sind angenehm, obwohl sich die Wolkendecke zunehmend schließt. Hin und wieder überholen mich Tagesausflügler auf ihrem Rennrad; mal grüßen wir uns, mal kleben sie mit ihrer Nase fast am Lenker, so dass man ihr Gesicht kaum sehen kann. Ich nehme es keinem übel. Der Reiz des Pässefahrens kennt die verschiedensten Spielarten und hätte ich nicht meine acht Kilo Gepäck am Rad, wäre ich möglicherweise auch einer aus der zweiten Lager, jedenfalls solange mich keiner furios in den Senkel stellt. So aber pedaliere ich hors categorie, denke nicht daran, was mich heute noch alles erwartet und gebe mich damit zufrieden, Meter um Meter dem höchsten Punkt dieser Tour näherzukommen.
Als ich nach einer Viertelstunde Höhenrausch beim Panaché auf der Caféterrasse von der 2000-Meter-Grenze wieder in die Kehren der Südseite einfahre, reißt der Himmel auf, und die Wärme des Sommers kehrt von Serpentine zu Serpentine zurück. In Longchamps, ein paar Kilometer unterhalb der Passhöhe, finde ich einen Supermarkt und decke mich ein fürs Mittagessen.
Der Col du Cucheron mit einer Höhe von knapp 1200 Metern zählt nicht zu den großen Namen im Radsport, mir war er bis heute jedenfalls unbekannt und wurde auch nur deswegen gewählt, weil ich Albertville möglichst verkehrsarm umfahren möchte. Seine abseitige Lage verlockt auch nicht übermäßig zu Ausflügen mit dem Auto oder Motorrad und so befinde ich mich vorwiegend alleine auf der schmalen Straße – eine beschauliche Sonntagnachmittagsbeschäftigung. Auf der Passhöhe – ein Gipfelschild sucht man hier vergebens – stehen zwei ältere Herren und ihr Oldtimer, um den herum sie fachsimpeln und gelegentlich mit einem Veloursläppchen zu Werke gehen, während ich daneben mein Gipfelfoto schieße.
Abgesehen vom Col de la Madeleine habe ich das Gefühl, dass das öffentliche Leben heute wie eingetrocknet ist, was mir nicht ungelegen kommt. Trotzdem freue ich mich über ein offenes Café in Chamoux für ein hurtiges Kaltgetränk.
Auch der Col du Frêne, mit dem ich den heutigen Tag abzuschließen gedenke, ist ein unspektakulärer Geselle, gerade mal 950 Meter hoch. Er tut kaum weh.
Gerade noch rechtzeitig vor der Schließung treffe ich auf dem Campigplatz in Le Châtelard ein. Neben einem Platz für mein Zelt frage ich nach Bier, der Chef kann mir allerdings nur zwei kleine Gläser aus dem Fass anbieten. Das eine leere ich sofort, das andere trage ich, mein Fahrrad schiebend, über den Platz. Für die Kontaktaufnahme ist ein solches Verhalten empfehlenswert. Vor lauter Gesprächen komme kaum dazu, mein Zelt aufzustellen und zu duschen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit finde ich noch eine Pizzeria im Ort, die auch die verbleibenden leiblichen Bedürfnisse befriedigt.