Mittwoch, 17. Juni 2009
Im Widerspruch zu seinem Namen ist der Vogelsang im Kaiserstuhl weniger ein beschauliches Fleckchen für Ornithologen als ein knackiger Prüfstein für den Radfahrer aus Freiburg, der seinen Weg Richtung Nordwesten eingeschlagen hat. Die dreizehn Prozent zwicken in den Waden und den Schenkeln. Beine in Ordnung? Nicht zuviel Gepäck am Rad? Ich bin zufrieden mit mir und meiner Ausrüstung. Wieder führe ich nur das Nötigste mit mir: Schlafsack, Isomatte und ein Zelt, das diesen Namen kaum verdient mit seinen 800 Gramm. Fleece, Hose, Unterwäsche, Waschzeug. Basta. Für das geplante Vorhaben muss es genügen.
Jenseits der Passhöhe rollt man entlang der sattgrünen Reben dem Rhein zu. Ihm werde ich heute folgen, diesmal nordwärts. Ruhig liegt er vor mir, als ich ihn bei Sasbach quere. Kriegs- und Friedenszeiten hat er erlebt, wurde zum Schicksalsfluss hochstilisiert und ist doch nur ein Wasserlauf, der beidseits den Menschen von jeher günstige Lebensbedingungen bot: warmes Klima, fruchtbare Böden.
Die Straße in Frankreich führt unter blauem Himmel schnurstracks geradeaus durch die Wälder, ist wie ein Trichter, der mich einsaugt, es gibt kein Halten, die Maschine rollt, die Beine treten. Bin ich derjenige, der über den rauen Asphalt fliegt oder ist das nur ein Phantom, eine Hülle, die nichts mit der Gedankenwelt zu tun hat, die sich darüber aufspannt? Meine erste Tour quer durch Deutschland, durch Gegenden, die ich fast nur aus den Medien kenne. Eine gewisse Ungeduld treibt mich voran. Irgendwo hier habe ich vor ein paar Wochen beim 300er Brevet die ersten Worte mit dem Initiator dieser Tour, Eckhard Mauermann, gewechselt. Sein Ziel ist das Nordkapp. In Speyer haben wir unseren Treffpunkt vereinbart, von wo aus wir gemeinsam über Mannheim weiter Richtung Ostsee fahren werden. Wie weit, steht für mich in den Sternen, auch wenn ich die Rückfahrkarte ab Kiel für Samstag abend, also drei Tage später, bereits in der Tasche habe.
Punkt zwölf Uhr ist Strasbourg erreicht, hundert Kilometer zeigt mein Zähler. Bis hierhin waren die Straßen ein Genuss. In Strasbourg selbst gibt es für den Radfahrer wenig brauchbare Hinweise für ein gutes Durchkommen, aber die Sonne ist richtungsweisend. In der Vorstadt frage ich eine zurückhaltende Frau in buntem afrikanischen Gewand nach dem Weg zum Zentrum, aber der weitschweifige Bogen, den sie mit ihrem Finger zeigt, deutet darauf hin, dass sie so genau auch nicht Bescheid weiß. Vielleicht das Los einer Illegalen, die sich aus ihrem Viertel nicht herauswagt.
Ich trotze den Umständen, meine Nase führt mich wieder an den Rhein auf einen kleinen Radweg mit glatter Oberfläche. Familien sitzen bei Wein, Käse und Baguette an Picknicktischen, lassen das Wasser und den Tag an sich vorüberziehen. Ich habe noch nicht einmal die Hälfte meines Pensums absolviert.
Vor Kilstett folge ich den Schildern Richtung Lauterbourg, dem Grenzübergang in die Pfalz. Mein Aufenthalt in Frankreich nähert sich bereits seinem Ende zu, ein paar letzte Hügel in der Nachmittagshitze trennen mich von Deutschland.
An einem Wasserhahn in Witzenbach werden noch kurz die Flaschen gefüllt, dann macht die Grenze einen Knick nach Westen, während mein Weg weiter nach Norden verläuft. Der Rhein-Radweg ist erstaunlich belebt, Ausflügler aller Art tummeln sich mit ihren Rädern entlang der Auen, es herrscht friedvolle Urlaubstimmung. Der leichte Nordwestwind, der mich bisher begleitet hat, hat gedreht und kommt nun von Südwesten. Kilometer um Kilometer ziehe ich entlang des Uferdamms, gespannt auf das, was noch vor mir liegt.
Als ich um halb sechs in Speyer ankomme, liegen weit über zweihundert Kilometer hinter mir. Dennoch fühle ich mich frisch. Nahe des Zentrums stoße ich auf Eckhard, und zu den vier, fünf Sätzen, die ich tagsüber mit dem Rest der Welt gewechselt habe, kommen schnell viele, viele weitere hinzu: vorwiegend über Route, Gepäck und Fahrradtechnik. Nahe des Doms, einem der größten Bauwerke seiner Zeit, legen wir einen ganz weltlichen Stopp im Café ein. Auf dem Pflaster vor uns müssen vor knapp eintausend Jahren kaiserliche Kutschen auf und ab gefahren sein mit ihrer adeligen Fracht. Unsereiner liebt's bescheidener, besteigt nach dem Verzehr des Getränks wieder sein schlichtes Zweirad und hält Kurs auf Mannheim. Wir drehen ein paar letzte Schleifen am Rhein und stoßen, Ludwigshafen streifend, in den Bauch Mannheims vor, wo mein Reisebegleiter seinen Wohnsitz hat. Der Abend endet mit riesigen Tellern von Spaghetti, Weizenbier und einer gewissen Vorfreude auf den nächsten Tag.
Strecke: |
270 km |
Zeit: |
10:30 h |
Schnitt: |
25,7 km/h |
Höhendifferenz: |
440 m |