La Palud - Isola

Samstag, 31. Juli 2010  


| Strecke |
Den Campingplatzbesitzer lerne ich morgens näher kennen. Seit 30 Jahre führt er hier die Geschäfte, macht alles Notwendige. Ob er die Welt je aus einer anderen Perspektive gesehen hat als von diesem Ort aus, der auf 900 Metern liegt, ein paar lausige Kilometer entfernt von den Stellen, wo sich jenseits der schmalen Geländer der Fels schier unendlich in die Tiefe stürzt? Warum sollte er, wo doch die Welt zu ihm kommt. Ich erzähle ihm, dass ich heute abend gerne in Isola Station machen möchte. Isola? Ah, oui, le Mercantour... Gorges du VerdonEr verrät nicht, ob er die Gegend des Mercantour je mit eigenen Augen gesehen hat. Vermutlich sind für ihn solche Überlegungen vollkommen belanglos. Sein gegerbtes Gesicht strahlt etwas von dieser Heiterkeit aus, wie sie Leuten eigen ist, die mit ihrem Dasein im Einklang stehen. 

In Castellane, 25 Kilometer flussaufwärts, ist es bereits um halb elf mit jeder Beschaulichkeit vorbei. Bereits weit vor der Stadt staut sich der Verkehr und ich muss auf den Gehweg ausweichen, um all die Autos, die mich noch am Ende der Schlucht passiert haben, nun meinerseits zu überholen. Ich schließe daraus, dass ein Samstag in den Gorges nicht unbedingt das bietet, was der lärm- und stressgeplagte Stadtmensch sucht. Castellane lasse ich im Eiltempo hinter mir.

Die D 4085 verbindet Digne-les-Bains mit Nizza. Vermutlich ist es so, dass die Menschen, die am Meer residieren, heute in die Berge wollen, und die Menschen aus dem Hinterland ans Meer - jeder eben dorthin, wo er gerade nicht ist. Die Straße ist jedenfalls ausgelastet. Vielleicht lässt sich in mitterer Zukunft ein Chip entwickeln, der diesen Menschen hinter dem Ohr implantiert wird und sich mit den entsprechenden Wunschlandschaften laden lässt, die dann den Nutzern direkt und unter Berücksichtigung größtmöglicher Natürlichkeit ins Gehirn eingespielt wird. bei AiglonSo könnten sie zuhause in ihren Sesseln bleiben, und sich bei Fritten und Cola ganz dem Landschaftsgenuss hingeben. Für die Natur wäre es ein Segen. Und ebenso für jene wenigen Menschen, die keinen Wert darauf legen, von morgens bis abends von Motorenlärm beschallt zu werden.

In La Bâtie ist Schluss mit diesem Wahnsinn. Ein unscheinbares Sträßchen führt mich mitten hinein in den Zauber des Hinterlandes. Der Rückenwind treibt mich durch die unspektakulären Landschaften dieses Hochtals. Der Blick tastet sich an den Feldern entlang, an den Felsformationen, an den kleinen Siedlungen, die auf dem Weg liegen. Ich habe es nicht eilig, nach meinem Plan stehen für heute nur 140 Kilometer an. Das Sträßchen wird schmaler, führt von 1100 Metern in engen Windungen hinunter in ein kleines Bachtal auf gut 300 Metern. Zahlreiche Chalets sind links und rechts in den Hang gebaut - möglicherweise die Sommerresidenzen der vermögenden Küstenbewohner, wenn der große Touristensturm über sie hereinbricht.

Blick von GiletteDie Mittagspause findet an einer Bank vor dem Friedhof von Roquesteron statt. Es gibt Schatten und es gibt Wasser. Was fehlt, ist genug zu essen. Seit Castellane ist mir nicht ein Lebensmittelgeschäft verkommen. So behelfe ich mir mit den spärlichen Resten. Genug, um die letzten Kilometer bis ins Tal des Var hinter mich zu bringen. Überdies lässt sich so die Pause etwas abkürzen.

roter Fels im Tal der TinéeIm Tal staut sich die Hitze. Wenn es stimmt, dass der Radfahrer bei großer Hitze drei Liter Wasser in der Stunde verdunstet, dann sollte ich angesichts der herrschenden 40° C morgen früh das Idealgewicht am Col de la Bonnette haben. Schon heute nachmittag geht es locker bergauf, was allerdings weniger am Flüssigkeitsverlust liegt, sondern wohl eher am Wind, der mich vom Mittelmeer her kommend nach Norden bläst.

Isola, CampingplatzDie letzten 30 Kilometer sind recht ruhig zu fahren. Besonders beeindruckend: der rote Fels im Tal der Tinée. Hatte ich gehofft, nach lockeren 140 Kilometer vor sechs Uhr in Isola einzutreffen, habe ich nun 167 Kilometer auf dem Zähler und die Uhr zeigt sieben. An dieser Stelle ist etwas schief gelaufen. Ansonsten steht alles zum Besten: Ich bekomme einen der letzten Plätze auf dem Campingplatz, Abendsonne, einen Stuhl von meinen Zeltnachbarn, ein kühles Bier aus dem Supermarkt und reichlich Essen. Selbst am späten Abend, als ich im T-Shirt noch einen kleinen Spaziergang um den nahegelegenen Weiher mache, zeigt das Thermometer  23° C, während die Sichel des Mondes das Tal der Tinée ausleuchtet. Der nächste Berg wartet auf mich.

 

Strecke:

167 km

Zeit:

7:40 h

Schnitt:

21,7 km/h

Höhendifferenz:

2170 Hm

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