Genf - Aouste

Donnerstag, 23.März 2006


bei BellegardeMorgens um fünf Uhr bringt ein Trucker mit seinem Diesel Stimmung auf den öden Parkplatz. Eine Stunde lang heizt sein Motor den Laster, während wir daneben weiter in der Kälte ausharren. Hatte ich bisher schon wegen der überraschend tiefen Temperaturen kaum geschlafen, ist nun noch weniger daran zu denken. Als ich um halb sieben meine nassen Radschuhe über die Füße ziehe, ist es so, als würde ich tiefgefrorene Seelachsfilets verpacken. Zu allem Übel setzt der Regen in dem Moment ein, da wir das Zelt abbauen wollen. Vom Schlafsack bis zu den Klamotten ist alles ist feucht, klamm, verdreckt. Es gibt nichts, wirklich gar nichts, um das ich augenblicklich zu beneiden wäre. Zum Glück führt die Straße zunächst bergauf, so dass wenigstens der Kreislauf in Schwung kommt. Das Wetter bleibt wechselhaft: in Bellegarde ist es trocken, in Billiat, sieben Kilometer weiter, nieselt es wieder, als wir aus dem beheizten Dorfcafé treten. Ich ziehe die Regenjacke zu und denke, dass man schon besonders gestrickt sein muss, um an diesem Punkt nicht gleich in den erstbesten Zug nach Hause zu steigen. Immerhin bewegen wir uns ab hier wieder auf der Strecke des letzen Jahres. Warum genau weiß ich nicht, aber irgendwie wird es dadurch doch erträglicher.

das Vercors aus der FerneIn Belley umfahren wir ein Gruppe überwiegend junger Demonstranten, die für den Fortbestand des Kündigungsschutzes bei Erstanstellung demonstrieren, während wir unser zweites Frühstück einlegen. Im politischen Frankreich kocht es gegenwärtig, aber hier in der Provinz ist davon sonst nichts zu spüren. Temperaturmäßig geht es immerhin auch hier etwas bergauf. Aber auch topografisch. Wir haben das Jura noch nicht wirklich hinter uns gebracht. Die Gebirgszüge rings um uns her sind weiß wie im Hochwinter und in den Hochtälern regiert weiterhin die Kälte.

Heute kommen wir nur mühsam voran. Mir steckt die Nacht in den Knochen, die Kälte, der Wind dreht häufig und immer wieder gibt es Gründe kurz anzuhalten, was den Rhytmus bricht. Schon nach rund 100 Kilometern machen wir Mittagspause; die Sonne scheint und uns bietet sich die Gelegeneheit, unsere Dinge zu trocknen.

Pech: ein PlattenSpätestens als wir auf einem der schönsten Sträßchen dieser Tour, zwischen La Sône und La Gare, den aufgelockerten Himmel über dem Vercors im Blick haben, denke ich: wir haben's geschafft, der Süden richtet's schon. In einem Auf und Ab auf kleinen Straßen stoßen wir westlich des Gebirges weiter und weiter Richtung Provence vor. Dort wo vor einem Jahr der Kälteeinbruch mit Regen begann, weht heute ein laues Lüftchen. Bald darauf kurbeln wir wieder im Dämmerlicht, dann in der mondlosen Dunkelheit. Die letzten 50 Kilometer hatten wir wohl keinen Lebensmittelladen gesehen und unsere Vorräte sind allmählich aufgebraucht. Mit der Drôme schließt das Vercors nach Süden hin ab. Für mich ist sie eine schöne Zäsur auf unserem Weg. Was jetzt noch an Strecke bis zu unserem Ziel folgt, ist sowohl von der Länge als auch von den Steigungen her absehbar. Wir hatten eigentlich geplant, heute über diesen Fluss hinweg weiter ins Gebirge des Diois reinzufahren, aber als wir gegen 21 Uhr in Crest eine Tankstelle anfahren, um Essentials zu laden, steht uns beiden, trotz der relativ frühen Stunde, der Sinn nach Nachtruhe. Von Norden her sorgen kalte Fallwinde für unangenehme Temperaturen. Im Ort selbst finden wir einen Imbiss, der Pizza über die Theke verkauft. Es befindet sich genau ein Tisch im schmucklosen, aber sehr ursprünglich gehaltenen Verkaufsraum, und einen Moment später wärmen wir uns hier bei Wein und Pizza. Der junge Chef gibt zu Protokoll, dass wir dieses Jahr die Ersten seien, die er mit Gepäck sehe, und fragt vorsichtig, ob man nicht etwas plemplem sein muss, bei diesem Wetter so ein Unternehmen zu starten. Ich kann ihm nur zustimmen. Dann setze ich noch eins drauf und erzähle ihm, dass wir weit gestern früh fast 600 Kilometer zurückgelegt haben. Der Hieb sitzt.Mehr als einmal höre ich es im Raum zischeln: 600 Kilometer!!! Es ist ein herrliche, entspannte Atmosphäre, und mir fällt es schwer, wieder in die Kälte hinauszustapfen. Auf keinen Fall soll hier verraten werden, wo sich diese feine Imbissstube befindet: die Gefahr ist zu groß, dass beim nächten Mal andere Radler schon vor uns an unserem Tisch sitzen... mein Wasserbett

Wir durchqueren noch den Nachbarort, Aouste, und kurz danach richten wir auf einer Wiese unser Nachtquartier ein. Urban blickt zum Himmel und stellt fest: Heute nacht regnet es nicht. Also nur Schlafsack und Isomatte. Als ich bereits liege, blendet mich plötzlich der Schein einer Taschenlampe: Was wir hier zu suchen hätten, möchte ein Anwohner wissen, seinen Hund bei Fuss. Ich grinse ihn aus dem Schlafsach heraus freundlich an. Ob es Probleme gebe, wenn wir hier übernachten? Oh ja, sagt er, sein Hund...
- Frisst er bisweilen auch Menschen?
- Kommt drauf an...
Es stellt sich heraus, dass sein Hund bereits zu Abend gegessen hat und so sollte eigentlich nichts schief gehen. Am Ende wünscht er uns eine gute Nacht. Die haben wir, bis sich Urbans Prognose erneut im Regen auflöst. Er schnappt sein Zeug und fährt in den Ort, wo er sich ein Vordach sucht, während ich mich in die Zelthaut einwickle und so meinen Schutz vor dem Regen suche. Es regnet die ganze Nacht. Unglücklicherweise liege ich in einer Kuhle, wo sich das kalte Wasser auf der Höhe meines Beckens sammelt. So komme ich zum ersten Mal in meinem Leben in den Genuss eines Wasserbettes.

 

Strecke:

218 km

Zeit:

10:16 h

Schnitt:

21,2 km/h

Höhendifferenz:

1912 Hm

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