Freitag, 18. September 2009
| Strecke |
Für alle Fälle habe ich mir nachts Ohrstöpsel reingemacht. Von meinen fischenden Zeltnachbarn ist jedoch schon bald nichts mehr zu hören, dafür aber setzt nachts der Regen ein. Er hämmert auf mein Zeltdach, trotz Gehörschutz. Am Morgen liegen Teile des Zeltplatzes unter Wasser. Meine Angler von nebenan machen einen etwas gedämpften Eindruck - die beiden hadern wohl auch mit dem Wetter. Dazu haben sie vermutlich noch Kopfschmerzen. Ich dagegen habe Muskelkater in den Oberarmen. Das ist mir bislang noch nicht passiert. Der Col d'Ahusqui lässt grüßen.
Ich finde ich einen Weg zwischen den Pfützen beim Gang zur Bäckerei. Während des Frühstücks verschont mich der Regen, aber schon beim Packen setzt er wieder ein. Von dem tschechischen Rentnerehepaar auf der anderen Seite, das schon seit Monaten mit dem Rad auf dem Weg von Prag nach Compostella ist, gibt es noch kein Lebenszeichen, als ich mich um elf Uhr definitiv in den Sattel schwinge. Ich habe es nicht eilig und nicht weit - 60 Kilometer ohne jede Steigung bis nach Biarritz. Das ist mein Trost.
Unterwegs verkommen mir Hunderte von Protestplakaten von baskischen Bauern gegen den Milchpreis. "Don de Lait": sie verschenken ihre Milch. Protest ist das Lebenselexier der Basken. Den Zorn der Bauern kann man dennoch nachvollziehen.
Je näher Biarritz rückt, desto unbarmherziger wird der Regen. Eine wahre Sintflut. In Biarritz bin ich so klug, erst gar nicht nach einem Campingplatz zu suchen. Ich steuere direkt den Bahnhof an und frage nach, ob ich meine Fahrkarte für morgen gegen eine Fahrkarte für sofort tauschen kann. Das ginge, ja: Abfahrt irgendwann heute abend, Ankunft irgendwann morgen mittag - knapp zwanzig Stunden Zufahrt. Dann doch lieber morgen fahren und den Tag irgendwie hier rumkriegen.
Kaum mehr als hundert Eimer Wasser vom Bahnhof entfernt ist die Jugendherberge. Einen Versuch ist es wert, denke ich, aber Einzelzimmer gibt's dort nach wie vor nicht. Außerdem stört sich der Herbergsvater daran, dass ich meinen Personalausweis nicht bei mir führe. Eine Nachlässigkeit, da muss ich ihm Recht geben. In der Nähe gäbe es ein Hotel.
Das Hotelzimmer ist gerade groß genug, dass ich alle meine Sachen zum Trocknen aufhängen kann. Ich mache gegen fünf einen verzweifelten Versuch, zu Fuß zum Strand zu gelangen. Biarritz liegt unter Wasser. Auf dem Weg zum Meer sehe ich soviel Regen, man könnte den ganzen Küstenstreifen damit befüllen: oben, unten, links, rechts, neben mir, an mir, um mich herum. Wasser, nichts als Wasser. Ich schaffe es bis zum Meer: ein graues Einerlei. Der Horizont ist nichts als ein frommer Wunsch. Durch die Schauer hindurch sähe man nicht einmal einen Passanten, der von den Wassermassen ins Meer gespült wird und hundert Meter vor der Küste ertrinkt. Ich mache zwei, drei verzweifelte Fotos. Drehe sofort um. Der Himmel kennt kein Pardon. Ein Autofahrer fährt direkt neben mir durch eine Pfütze. In diesem Moment muss die Kamera in meiner Hosentasche ertrunken sein: einmal noch das Meer sehen und sterben. Alles in mir, alles um mich herum ist Verzweiflung pur. An einem Imbiss nehme ich eine Pizza mit. Trotz der zwei Tüten ist der Karton zehn Minuten später aufgeweicht.
In den Landesnachrichten sehe ich abends Bilder von Biarritz: überflutete Parkhäuser, überschwemmte Bahnhöfe. Der Zugverkehr ist eingestellt. In den letzten Stunden ging hier soviel Regen runter, wie in den letzten zwei Monaten zusammengenommen. Zur Bestätigung reicht ein Blick aus dem Fenster. Auf ARTE schaue ich mir einen Film über Korsika an: Bilder von Sonne und Meer. Vielleicht sollte ich mir doch mal Gedanken machen über andere Reiseziele?
Erst am nächsten Vormittag ebbt die Sintflut ab, gerade als ich auf den verspäteten Zug warte. In Paris scheint zur Loveparade auf dem Boulevard Staint-Michel die Sonne, im Breisgau grüßen mich die funkelnden Sterne der Milchstraße. Ein schöner Empfang. Immerhin.
Strecke: |
61 km |
Zeit: |
2:45 h |
Schnitt: |
22,5 km/h |
Höhendifferenz: |
420 Hm |
Gesamtstrecke |
787 km |
Gesamthöhendifferenz: |
16395 Hm |