Freitag, 15. April 2005
| Strecke |
Dieser morgendliche Anblick entschädigt für Vieles: Die feinen Linien des Vercors im Dunst des neuen Tages, im Licht der wärmenden Sonne. Ein kleines Sträßchen entlang der Isère führt uns durch eine Traumwelt - links Fluss und Gebirge, rechts Wiesen und Wälder, vor uns die einsame Straße zwischen La Sône und La Gare. Der Duft erblühender Natur.
Vergessen ist der kurze, feine Nieselregen, der mich um 4.30 aus meinem Schlaf schreckt, die Eile, in der wir schlaftrunken unsere Habseligkeiten in die Taschen räumen, der erste Anstieg des Tages, noch auf nüchternen Magen und bei Dunkelheit. Erst in St. Marcellin, 25 km später, finden wir offene Bäckereien und ein erstes Café, das uns Punkt halb sieben Einlass gewährt. Es ist Markttag und die wenigen Gäste an den Tischen neben uns sind vor allem Händler. Nach so einer kurzen Nacht kann man kaum genug Croissants essen, kaum genug Café au Lait trinken. Wohlige Wärme, träge Müdigkeit; welche Überwindung, sich wieder auf die Straße zu begeben, den nächsten Abschnitt unserer Tour in Angriff zu nehmen: die Umfahrung des Vercors auf seiner Westseite und die Durchquerung des Höhenzugs, der zwischen der Drôme und unserem Ziel, dem Mt. Ventoux, liegt.
Während wir die dem Vercors vorgelagerten Hügel befahren, immer Richtung Süden, stemmen wir uns gegen den auffrischenden Wind. Versprach der Morgenhimmel noch einen wunderschönen Frühlingstag, so macht sich bei uns nun doch mehr und mehr Ernüchterung breit. Schweres Gewölk hängt über den Bergen, die Sonne verschwindet hinter grauen Schleiern; die Drôme liegt noch weit vor uns, als der Regen einsetzt, erst schleichend, dann mit Vehemenz. Triefend vor Nässe schieben wir und durch dieses Jammertal vor bis nach Crest, weiter nach Aouste, legen unter dem Vordach der Kirche eine Rast ein - der liebe Gott möge uns unser Treiben verzeihen. Auf Wetterbesserung zu warten ist sinnlos. Also streifen wir uns die triefenden Handschuhe, die nassen Überschuhe über die fröstelnden Extremitäten und verlassen unseren schützenden Rastplatz. Mit dem einsetzenden Regen ist die Temperatur empfindlich gefallen. Col du Pas de Lauzun, Bourdeaux, Col de la Sausse, Dieulefit, Nyon, Vaison-la-Romaine: Stationen im Regen, im Spritzwasser der Laufräder, in regentriefender Kluft. Wenn der Regen zwischendurch nachlässt, dann gerade so lange, um die im Gegenwind angetrockneten Handschuhe und Überschuhe aufs Neue zu durchtränken. Die Kälte wird unerbittlich, die Temperatur sinkt auf Werte deutlich unter zehn Grad. Bei Vaison-la-Romaine leuchtet der Himmel kurz in einem rötlichen Abendschimmer auf, ehe der Regen wieder das Kommando übernimmt. Die letzten zehn Kilometer nach Malaucène am Fuß des Mt. Ventoux. Vom Giganten der Provence ist nichts zu sehen, eine dicke Wolkenbank hängt dort, wo wir ihn vermuten. Wir hatten uns das Szenario vor Ort anders vorgestellt...
Die Ankunft in Malaucène gleicht eigentlich einem Trauerspiel: es gießt wie aus Eimern, als wir schließlich von unseren Rädern absteigen; wir schlottern an allen Gliedern. Erleichterung? Siegesgefühl gar? Schwer zu sagen. Wir verkrümeln uns in einer Bar, stoßen an: 51 Stunden von Freiburg nach Malaucène, bei Kälte, Regen und Gegenwind, Gegenwind, Gegenwind... Als wir von unseren Barhockern wieder aufstehen, haben sich auf dem Boden zwei große Pfützen gebildet.
Erst der Abend versöhnt mich mit unserem Tun: ein Gästezimmer im provençalischen Stil, eine Heizung, die auf Hochtouren läuft, ein einfaches, aber gutes Gericht, Wein und warme Schlafsäcke, in die wir uns zum Essen einwickeln können. Und Betten, weiche, warme Betten, in die man sich fallen lassen kann im Bewusstsein, dass heute abend kein Wecker gestellt wird.
Strecke |
693 km |
Fahrzeit |
32:38 h |
Durchschnitt |
21,6 km/h |
Höhenmeter |
6480 |