Montpellier - Sault

Donnerstag, 26. Juni 2008


| Strecke |

LunelEin Weinfeld, im Osten Montpelliers, eingeklemmt zwischen der D 189 und der D 24. Schwach noch leuchtet der Polarstern am erwachenden Sommerhimmel: nordwärts soll's gehen. Ich schüttle allerhand Getier vom nächtens hurtig errichteten Innenzelt, verstaue es samt Schlafsack und Isomatte in den Radtaschen. Trockene, mediterrane Sommerluft streicht durch die Reben. Die Tour kann beginnen.

Ich folge dem holperigen Weg zurück auf die D 24. Bereits um halb sieben herrscht geschäftiges Treiben auf den Landstraßen. Ein Hin und Her, Sonnenbrillen starren mich an, rauschen vorbei. Ich frage mich, was um alles in der Welt so viele Leute um diese Zeit so Wichtiges zu erledigen haben. Arles

CamargueDies ist nicht mehr das Land des Alphonse Daudet, der vor einhundertfünfig Jahren unweit von hier, jenseits des Rhône, in seinen "Lettres de mon moulin" eine urwüchsige Provence beschrieb, in der die Bauern den Sümpfen der Camargue das Nötigste zum Leben abtrotzten.

Spätestens als ich in Lunel in einer Bäckerei mit Stehimbiss einen Milchkaffee bestelle, wir mir klar, dass ich endgültig im einundzwanzigsten Jahrhundert angekommen bin: statt mit Milch wird mir der Kaffee mit einem Beutelchen Milchpulver serviert. Nichts wie weiter...

Nur der Wind, er ist der alte geblieben, und das nun wiederum will mir auch nicht schmecken. Wild und ungestüm gebärdet er sich und bläst mir natürlich frontal ins Gesicht.

Nîmes lasse ich links liegen, wähle statt dessen die wenig befahrene N 572 nach St. Gilles, von dort ein schmales Sträßchen durchs Hinterland. Die Camargue: wogendes Schilf, Zypressenhaine, Reisfelder, Pferde. Wäre nicht der Wind, ließe sich die ganze Szenerie schlicht als Postkartenidylle abtun.

Um Arles komme ich nicht umhin, weit und breit gibt es keine andere Brücke über den Rhône. Selbstredend nehme ich den Weg durchs Zentrum und werfe, wie Tausende von weiteren Besuchern an diesem Morgen, einen Blick auf Obelisk und Arenen. Die Straßenrestaurants ringsum machen mit Geschirrklappern auf sich aufmerksam: Es geht dem Mittag entgegen. Die mehrsprachigen Speisekarten beschäftigen mich mehr als die römischen Bauwerke. Ich hätte Lust, noch einen Kaffee zu trinken, ziehe es aber dann doch vor, vor der Pause noch Kilometer zu sammeln.Alpilles

Mein Weg führt durch den Regionalpark der Alpilles und ich bin überrascht, wie bergig so ein Hauch von Gebirge sein kann. Etliche Radfahrer kreuzen meinen Weg. Erst kurz vor Cavaillon setzt wieder der Verkehr ein. Cavaillon brütet unter der Last der Mittagshitze. Ich finde keinen geeigneten Platz für eine Rast, also suche ich wieder das Weite. Zu meiner Rechten liegt der Gebirgszug des Lubéron, im Nordosten die Hügel des Vaucluse. Dorthin steuere ich mein Gefährt, bis mich ein Schattenplätzchen an einer dieser vielen Zypressenhecken schwach werden lässt. 130 Kilometer habe ich auf dem Zähler, mehr als ich bis zur Pause geplant hatte, und so strecke ich mich zufrieden im Gras aus. Ventoux, Nordauffahrt

Die Hitze, die Anstiege und der Wind machen das weitere Vorankommen schwer. Mein Ziel ist Malaucène und von dort aus - als krönender Tagesabschluss - der Mont Ventoux. Malaucène erreiche ich um fünf Uhr nachmittags, seit Stunden nun unterwegs bei konstanten 39° C. Ich liebe dieses Städtchen mit seinem bunten Treiben: Hunderte von Radfahrern, die dem Ventoux ihre Referenz erweisen. Ich sitze im Café, 175 Kilometer Gegenwind in meinen Beinen und ein lächerlich kleines Cola vor mir, als mich das Gefühl beschleicht, dass der Gipfelsturm mit einer gewissen Anstrengung verbunden sein könnte.

Einundzwanzig Kilometer Aufstieg mit über 1650 Höhenmetern warten auf mich. Kurz überlege ich, ob ich noch Proviant besorgen soll, entschließe mich aber dann dazu, mich mit den Resten vom Mittag zufrieden zu geben. Jedes Gramm ist ein Gramm zuviel. Nach den ersten Kilometern wird mir klar, dass dieser Abend im Fiasko enden wird. auf dem Mont VentouxDie Schwerkraft sitzt wie Blei in meinen Gliedern. Mein Akku ist leer, tiefentladen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt einen solchen Kampf ausgefochten habe an einem Berg. Nach dem ersten Drittel steige ich ab, nicht um zu fotografieren, sondern weil ich nicht mehr kann. Krame die letzten Essensreste aus meiner Tasche, wenig genug. Zwei Kekse lasse ich übrig für die restlichen fünfzehn Kilometer. Es wird eng werden. Ich gebe die Hoffnung auf, jemals oben anzukommen.

Eine Ewigkeit später nehme ich die letzte Kehre. Meine Augen füllen sich mit irgendetwas Feuchtem, während ich mit letzten Tritten meine Last zum Gipfel hochwuchte. Eine plötzliche Ruhe tritt in mein Leben. Oben ankommen ist wie sterben. Nichts als Himmel und Weite. Abendlicht.

Um halb neun begebe ich mich in die Abfahrt. Eine halbe Stunde später erreiche ich Sault. In der Dunkelheit stelle ich mein Zelt auf, gehe Duschen, esse eine Pizza, die ich mir auf der Herfahrt im Ort besorgt habe. Sie ist längst kalt geworden. Darüber will ich nun wirklich nicht klagen.

 

Strecke:

223 km

Zeit:

11:01 h

Schnitt:

20,2 km/h

Höhendifferenz:

2665 m

 

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