Breisgau-Brevet: 200 Kilometer

Freiburg, 10. April 2010, 8.00 Uhr


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Es soll Leute geben, die behaupten, die amerikanische Mondlandung wäre in Filmstudios inszeniert worden – alles nur Fake. So ähnlich schien mir manches Mal unser Projekt, einen örtlichen Ableger von Audax Randonneurs Allemagne (ARA) für das Breisgau auf die Beine zu stellen. Bis zum 10. April war alles virtuell und unsere Homepage nichts anderes als ein Filmstudio für unsere kühnen Träume. Und plötzlich stehen 80 Leute mit ihren Rädern in Freiburg. Breisgau-Brevet

Also sitzt man als Mitorganisator morgens um halb sieben am Eingang einer Gaststätte, die kurzerhand zum Startort umfunktioniert wurde, reicht Startunterlagen über den Tisch, sieht Gesichter und fragt sich, welches man wo schon mal gesehen haben könnte und freut sich über jedes einzelne – eine Familienzusammenführung. Wäre da nur nicht mein bescheidenes Namensgedächtnis. Man schüttelt Hände, die sich kräftig und ziemlich wirklich anfühlen, und hofft, dass die Realität der Gaukelei des Internets standhalten möge. Blauer Himmel über der Stadt: die Voraussetzungen sind bestens. Am Ende haben wir nur noch die Uhrzeit im Nacken: 8 Uhr, der Start.

Breisgau-BrevetUm 7.40 Uhr ist die letzte Startkarte an den Mann gebracht. Ein paar gern gesagte Worte an die bunte Schar, die von so weit her nach Freiburg gekommen ist. Wir sitzen auf zum virtuellen Start bis zum Campingplatz am Rande Freiburgs, und endlich, endlich – Punkt acht Uhr – ist alles Virtuelle endgültig getilgt: vor uns liegt die Straße nach Osten im gleißenden Morgenlicht, der Hinterwaldkopf mit seinen Schneeresten und die dunklen Vorberge des Schwarzwaldes.

Wir rauschen in langgezogenen Gruppen durchs Ibental, dessen steiler Abschluss uns alle abrupt nach oben katapultiert. St. Peter, St. Märgen. Es ist befreiend, nach diesem schier unerträglich langen Winter wieder Rad zu fahren, nach Herzenslust und – unvermeidlich – weit darüber hinaus. Die zweihundert Kilometer werden nicht leicht, alle um mich herum leiden noch immer heftig unter Entzugserscheinungen, die die Frostperiode mit sich bringt, und knüppeln, was das Zeug hält. Breisgau-BrevetSo wird der Übergang von der einen Qual zur anderen fließend: beim 17-Prozenter hoch zur Gescheid ist das intime seelische Leid endgültig zum kollektiven körperlichen Leiden angeschwollen. Phantastisch, wenn endlich wieder die Lungen pfeifen und die Muskulatur brennt! Haben wir darauf nicht alle sehnsüchtig gewartet? Dazwischen, als Fermate, schwebt das märchenhafte Hexenloch mit seinem gewundenen Sträßchen in der eisigen Morgenluft.Breisgau-Brevet

Unserer gutes Dutzend an der vorderen Front übersteht den Nordwind vor Wyhl, der von rechts in die Speichen faucht, und die Weinberge des Kaiserstuhls, Symbol der badischen Lebensart. Wir begnügen uns mit einem Schluck Mineralgetränk aus der Pulle und beißen auf die Zähne. Selber schuld.

Weiß bedeckt thront mächtig der Belchen über unserem Weg nach Süden, während der Rückenwind und eine Art Tobsuchtsanfall meiner Kollegen den Tacho auf fast 40 hochjagt, 50 Kilometer lang, bis Kandern. Kaum zu glauben, dass die Menschen um mich herum alle ganz normal sind. Ich für meinen Teil bin ausgepumpt und komme kaum noch über die Kuppe bis in den Ort – letzte Kontrollstelle. Ein Radgeschäft hat zur Mittagszeit noch geöffnet und der Chef stempelt unsere Karten und füllt unsere Flaschen. Breisgau-Brevet50 Kilometer Rückweg warten auf mich.Breisgau-Brevet

Ja, auf mich. Fünf Kilometer lang tue ich noch so, als könnte ich mithalten, dann, plötzlich, sehe ich die vielen Blumen am Wegesrand, die Kirschbäume, die zögernd zu blühen beginnen. Die andern sind weg. Radfahren ist ein herrlicher Sport. Man kann mit Kumpels fahren, mit Spießern, mit Verrückten. Oder ganz alleine. Und kurz vor Freiburg noch einen auflesen, und noch einen, und zu dritt, ganz locker, zum Ziel rollen. Wie gesagt: ein herrlicher Sport.

Strecke

201 km

Höhenmeter

2100

Gesamtzeit

7:20 h

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