Montag, 30. Juni 2008
| Strecke |
Als ich vom Zähneputzen zurückkomme, haben meine beiden Engländer das Feld bereits geräumt. Für Anfänger eine außerordentliche Leistung. Wenn sie so weitermachen, erreichen sie Nizza schon in der nächten Woche... Kurze Zeit später ist auch für mich der Zeltplatz von Bonneville nur noch Erinnerung. Ich wähle den Weg übers Zentrum, und reihe mich in den Verkehrsstrom in Richtung Genf ein. Wie nicht anders zu erwarten, bin ich zwar der einzige Radfahrer, aber eben ganz und gar nicht der einzige Verkehrsteilnehmer. Der morgendliche Berufsverkehr senkt die Hemmschwelle beim Überholen und so fühle ich mich genötigt, auf eine alte Masche von mir zurückzukommen: immer wieder nach hinten schauen, möglichst den Fahrern ins Gesicht - so wird man plötzlich als Mensch wahrgenommen und wie durch ein Wunder verdoppelt sich der Abstand beim Überholvorgang.
Seit heute früh ist der Himmel grau und verhangen, schwüle Luft staut sich vor den Alpen. Mit jede Kilometer wird die Luft drückender und als ich nach 25 Kilometern endlich Genf erreiche, bricht das Gewitter los. Schwere Regentropfen, die zuerst sanft und mit einem Mal heftig auf uns herunterprasseln. Ich suche Schutz unter einem Baum und beobachte die Szenerie: Genfer Schick, regengetränkt. Diplomaten, die mit Zeitungen über dem Kopf über die Straße huschen, Frauen mit weißen Blusen, die auf der nackten Haut kleben. Dieser Umstand verschönert die Stadt enorm.
Eine Viertelstunde später ist das Spektakel vorbei und ich nehme meine Arbeit wieder auf. Ich lasse Genf hinter mir, folge den überwiegend gut ausgebauten Radwegen entlang des Nordufers des Genfer Sees. Immer wieder Blicke über den See - mein Abschied von den Alpen. Längst hat der Himmel aufgeklart, ein neuer Sommertag liegt über der Schweiz.
In Morges nehme ich die Gelegenheit wahr, mich nach Zugverbindungen zu erkundigen. Um bis ganz nach Hause zu fahren, ist mir die Strecke zu weit mit all meinem Gepäck, und eine weitere Übernachtung will ich wegen verbleibenden vielleicht einhundert Kilometern nicht einlegen. So nehme ich mir Yverdon zum Ziel oder Neuchâtel.
Die Querung nach Yverdon, vom Genfer See zum Neuchâteler See ist mit etlichen Anstiegen verbunden, aber die Strecke ist angenehm zu fahren. Die Schweizer haben auch hier nicht mir Radwegweisern gegeizt und im allgemeinen kommt man damit gut zurecht. So erreicht ich Yverdon am frühen Nachmittag - zu früh, wie mir scheint, um schon in den Zug zu steigen. Also weiter nach Neuchâtel, auf der kaum befahrenen Nationalstraße, die meist mit einem breiten Radstreifen versehen ist - ein angenehmes Rollen.
Kurz vor Neuchâtel stehe ich vor der Alternative: entweder ich beeile mich, um noch den Zug nach Basel zu erreichen, oder ich beeile mich eben nicht. Die zweite Option ist bei weitem verlockender: zu meiner Rechten liegt der Neuchâteler See im gleißenden Mittagslicht. Diese halbe Stunde Wellness gönne ich mir. Noch in der Radhose springe ich ins warme Wasser und ziehe mit kräftgien Zügen meine Bahn. Es kommt mir vor wie eine Grundreinigung: Tausende von Höhenmeter ertrinken in den Fluten, all die Kilometer, die in meinen Beinen stecken, werden vom Wasser herausgespült. Ein Zustand der Schwerelosigkeit stellt sich ein. An diesem Punkt hat sich der Spannungsbogen aufgelöst. Im Kino käme nun der Abspann. Und siehe: eine Stunde später sitze ich im Zug und Landschaft zieht an mir vorüber, Landschaft, in die man Sonne, Wind, Gletscher und eine ganze Menge Höhenmeter hineinlesen kann.
Strecke: |
173 km |
Zeit: |
7:29 h |
Schnitt: |
23,0 km/h |
Höhendifferenz: |
947 m |