Donnerstag, 23. Juni 2016
Im Zentrum von Argeles-Gazost sehen wir nochmals das bepackte Rad des Texaners, ohne ihn selbst jedoch anzutreffen. Wir besorgen die wichtigsten Dinge für die heutige Etappe, dann ziehen wir erneut ins Feld: von Beginn an geht es stetig bergan. Unsere Route führt nicht auf dem klassischen, direkten Weg zum Col de Soulor, sondern durchs nördlich gelegene Tal. Die Straße ist klein und zauberhaft, es gibt nur wenige Anlieger, die uns an den Wegesrand zwingen; fast den ganzen Morgen sind wir unter uns, bis hoch zum Col de Spandelles auf 1378 Metern. Spätestens hier könnte man sich unsterblich in die Pyrenäen verlieben.
Der zweite Abschnitt beginnt nach einer steilen Abfahrt ins nächste Flusstal: der Ouzom entspringt hoch oben im Cirque du Litor – ein mächtiger Bergkessel zwischen dem Col de Soulor und dem Col d‘Aubisque, an dessen felsigen Flanken wir uns Meter um Meter hocharbeiten. Würde man ihn nicht dringend brauchen, der Atem würde einem stocken angesichts von so viel Naturschönheit.
Die Nachmittagshitze und die zunehmend schwüle Luft lasten auf uns, aber es gibt Brunnen und Wasserläufe, wo wir uns abkühlen; so einfach lassen wir uns die Euphorie nicht nehmen – wer hier jammert, ist fehl am Platz. Vor der Passhöhe sitzen ein paar Holländer im Schatten, ihre Rennräder neben sich im Gras, und jubeln meiner Gefährtin zu. So werden Sieger gemacht, und mit gereckten Armen fährt sie durchs Spalier. Der etwa zwölf Kilometer lange Anstieg – auch wenn er zum Schluss etwas flacher wird – windet sich meist zwischen sieben und neun Prozent nach oben – der Applaus ist verdient. Die Schafe, die sich inmitten der parkenden Autos ungeniert tummeln, quetschen sich in jedes erreichbare Schattenplätzchen. Auch wir finden ein Plätzchen unter einem Sonnenschirm für eine Rast bei Cola und Eis.
Vom Col de Soulor aus ist die Fahrt zum Aubisque nur noch ein kleiner Nachschlag: wenige hundert Höhenmeter sind es, die es zu bewältigen gibt. Die Kulisse rundum lässt jede Anstrengung vergessen. Meine Frau ist so verzaubert, dass sie am liebsten auf dem Col d‘Aubisque das Zelt aufstellen würde, wofür uns auch der Gastwirt der Schenke grünes Licht gibt. Allerdings, gibt er danach zu bedenken, in dem er auf die Wolkenbank im Westen zeigt, sei dies kein gutes Zeichen. Er hat Recht: schwarzes Gewölk drängt sich von Westen her zum Aubisque und es braucht nicht allzu viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie sich ein solcher Wolkenbruch auf zweitausend Metern in unserem kleinen Zelt anfühlen würde. Wir schlagen den Weg ins Tal ein.
Der Campingplatz, auf den wir schließlich in Laruns stoßen, könnte kaum schlimmer sein. Gänzlich verwahrlost, mit Kaninchen, die quer über den Platz hoppeln und ihre Hinterlassenschaften breitflächig verteilen, und sanitären Anlagen, die wohl zum letzten Mal kurz nach dem Krieg einer Renovierung unterzogen wurden. Der Greis, der sich als dessen Eigentümer vorstellt, scheint ebenfalls aus der Zeit gefallen zu sein. Die ganze Anlage ist so gut wie verlassen. Wir fliehen zum Essen ins Zentrum. Auf dem Marktplatz stehen zwei weitere Räder mit bescheidenem Gepäck im typisch englischen Stil und ich frage mich, ob das Paar in der Nachbarkneipe, das ich diesen Rädern zuordne, ebenfalls die Reise von Meer zu Meer unternommen hat oder nur für einen Kurztrip unterwegs ist. Unser Restaurant ist ordentlich und es widerstrebt mir, zu unserem Nachtlager zurückzukehren.
Strecke: |
71 km |
Höhendifferenz: |
1740 m |